Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Jammer.
Wir brachten derweil die Saison am letzten Spieltag anständig zu Ende, jedenfalls eine knappe Stunde lang. Dann schenkte uns Nürnbergs André Golke mit dem wahrscheinlich ersten und letzten Hattrick seines Lebens drei Tore ein und wir verloren mit 1:3. Die Nürnberger hatten wir am Abend zuvor gut kennengelernt: In einem Biergarten, ganz in der Nähe unseres Hotels, hatten auch die Franken bei einem späten Umtrunk zusammengesessen, wir hatten uns fröhlich zugeprostet. Wie tief wir ins Glas geschaut haben mussten, zeigte die Rückfahrt mit dem Fahrrad – für die 800 Meter Wegstrecke benötigte ich rund 30 Minuten … Ein würdiger Abschluss für diese kuriose Saison.
Tagesbericht, Fachklinik Fredeburg
28. April bis 1. Mai 2000
Meine Therapieziele:
a) Abstinent leben
b) Ich will lernen, bei Veranstaltungen, die ich häufig besuchen werde, ohne Alkohol auszukommen und trotzdem meine Ziele gut und korrekt anzugehen.
c) Ich will meinen Ärger und meine Enttäuschungen, alles was ich bisher in mich hineingefressen habe, zeigen und ansprechen. Ich will also meine Gefühle zeigen und mit ihnen umgehen. Ich will geduldiger meine Ziele angehen.
d) Mein Ziel ist es, Oberflächlichkeit und Aggressivität vernünftig aufzuarbeiten und mich dementsprechend zu äußern.
2. Mai 2000
Ich verstecke mich hinter Kleinigkeiten. Im Moment sind da so viele Gefühle, die ich sonst nicht kenne, mit denen ich klarkommen muss. Wut auf mich selbst. Traurigkeit, weil ich die ganzen Jahre lang meine Kinder nicht habe aufwachsen sehen, nicht mit ihnen spielen und sprechen konnte. Viele Dinge sind mir klar geworden, aber die Gefühle tun mir sehr weh. Mit dem Alkoholismus komme ich gut klar, weil ich mich damit sehr viel befasst habe. Ich will immer durch die Wand. Das heißt, es geht mir vieles nicht schnell genug. Ich muss lernen, geduldiger zu sein und meine Ziele auch mit Umwegen anzugehen. Für mich ging alles zu schnell im Leben. Der Aufstieg und der Abstieg.
Ich werde das Ziel, das ich mir gesetzt habe, auch mit Geduld und Gefühl erreichen. Da bin ich mir sicher.
4. Mai 2000
Ich habe heute mit Herbert mitgefühlt und war auch sehr nervös. Das ist schon ein ganz schöner Hammer, wenn sich einer so auf die Therapie versteift und denkt, dadurch werde alles wieder gut und dann doch alles den Bach runtergeht. Ich für mich denke, dass ich meine Lage ganz gut beurteilen kann. Das heißt aber nicht, dass ich mich so auf meine Familie versteife. Es wäre schön, wenn der Kontakt mit Frau und Kindern normal wird und ich mich darüber freuen kann, einiges mit den Kindern zu unternehmen. Ich freue mich eigentlich schon mein ganzes Leben lang über Kleinigkeiten. Das heißt, wenn ich nur eine Aufmerksamkeit bekomme, bin ich schon sehr zufrieden. Geburtstage, Weihnachten usw.
DAS GLÜCK VON STUTTGART
Die zweite Deutsche Meisterschaft
Fußballspieler, die ihre Laufbahn beenden, werden häufig gefragt: »Was war der schönste Moment in ihrer Karriere?« Eigentlich kann man darauf keine Antwort geben.
War es mein erster Einsatz als Profi für Borussia Mönchengladbach? Mein erstes Länderspiel? Die Deutsche Meisterschaft 1988? Mein Elfmeter im Pokalfinale gegen den 1. FC Köln 1991? Alles herausragende, einzigartige und unvergessliche Momente, die mir, wenn ich an sie denke, deutlich machen, welche Chancen mir der Fußball geboten hat. Doch eine Szene liegt mir tatsächlich besonders am Herzen.
Die Tische im hinteren Teil des Mannschaftsbusses hatten wir in den Boden senken lassen. Wie auf einer Liegewiese lagen wir da, ich und meine Kollegen. Oliver Reck. Thomas Wolter. Unsere Neuzugänge Didi Beiersdorfer, Andreas Herzog und Bernd Hobsch. Marco Bode. Und all die anderen. Zwei Stunden dauerte die Fahrt von Stuttgart nach Mainz, ins ZDF-Sportstudio. Da lagen wir nun, ausgestreckt und leicht besoffen. Von zu viel Alkohol und Glück. Nur wir, die Spieler, die Mannschaft. Keine Frauen, keine Funktionäre, keine Journalisten. Nur ein Haufen Fußballer. Mich durchströmte in diesen zwei Stunden ein unglaubliches Glücksgefühl, die Ganzkörpergänsehaut verschwand erst, als der Bus vor dem ZDF-Gelände hielt. Eine merkwürdige, beinahe sentimentale Stimmung. Mal spritzten wir uns mit Bier ab und sangen »We are the Champions«, mal lagen wir einfach da, sprachen leise miteinander oder hingen einfach unseren Gedanken nach. Ich glaube, in diesen Momenten ging es vielen im Bus so wie mir: Wir hatten etwas Einzigartiges
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