Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
ich, wie man das damals sagte, »an die Front abgestellt«. Das war damals die Westfront. Ein halbes Jahr später bin ich dann von der Lüneburger Heide zurück nach Schwäbisch Hall zu Fuß gegangen – in 18 Tagen. Das war mein »Feldzug der 18 Tage«. Ich behaupte nicht, dass das etwas Besonderes war. Ich sage nur: Ich gehöre zu dieser Generation. Ich war für die Entmilitarisierung. Und als Adenauer – ohne mit seinem Kabinett zu reden – den Alliierten plötzlich deutsche Soldaten anbot, als dann die Wiederaufrüstung begann, hat das zum Rücktritt von Gustav Heinemann aus der CDU geführt. Und von da an hatte ich Kontakt mit Heinemann.
Ich war dann Gründungsmitglied seiner »Gesamtdeutschen Volkspartei«, der GVP, die die Westintegration der Bundesrepublik ablehnte. Dass ich dann wirklich voll in die Politik einstieg, hatte mit der Stalin-Note vom 10. März 1952 zu tun. Stalin bot damals freie Wahlen und eine Deutsche Einheit an – unter der Voraussetzung, dass die Deutschen keinem Bündnis beitreten. Ich habe damals zwei Möglichkeiten gesehen: Entweder war das reine Propaganda – dann brauchte man es nicht ernst zu nehmen. Oder: Stalin war tatsächlich bereit, die DDR zu opfern, nur um damit zu verhindern, dass die BRD in ein westliches Bündnis eintritt – dann musste man es ernst nehmen. Adenauer sagte: Erstens ist das ganz im Interesse von Stalin und zweitens ist es nicht ernst gemeint. Diese Unlogik fand ich empörend – und vor allem, dass dieser Widerspruch zur Staatsdoktrin wurde. Das war für mich die Initialzündung, in die Politik zu gehen – obwohl ich eigentlich eine akademische Laufbahn anfangen wollte.
Über Heinemanns GVP und nicht über die Sozialdemokratie kamen Sie also in die Politik.
Ich hatte in Tübingen ziemlich guten Kontakt mit Carlo Schmid und ich wäre damals schon beinahe in die Sozialdemokratische Partei eingetreten – wenn sie in diesem Punkt der Stalin-Note eine etwas klarere Position gehabt hätte. Im Jahr 1952 sagte mir Carlo: »Wir haben im August einen Parteitag und da werden wir das regeln.« Ich habe ihm damals gesagt: »Dann komme ich.« Dann aber ist Schumacher gestorben – und plötzlich war in der SPD alles ganz anders. Auch der Parteitag verlief nicht so, wie es Carlo Schmid prognostiziert hatte.
Sie sind also nicht den normalen sozialdemokratischen Weg gegangen?
Die Behauptung, ich sei ein sozialdemokratisches Urgestein, ist dummes Zeug. Ich komme auch nicht aus einer sozialdemokratischen Familie. Mein Großvater mütterlicherseits war Naumannianer 3 – und das war damals in der Kirche links. Der Naumann war ja genau das Gegenteil von dem, was heute die Naumann-Stiftung ist.
Auch mein Großvater war Naumannianer …
Von da kam die sozialpolitische Ader meiner Mutter. Sie war die erste Frau im Haller Stadtrat, für längere Zeit sogar die einzige Stadträtin. Aber ich bin jetzt 56 Jahre in der SPD. Insofern kann man schon sagen: Der ist ein alter Sozialdemokrat. Aber den Typ des Urgesteins, den stelle ich mir anders vor.
Es gibt sozialdemokratische Politiker, die sich auf Sie be– ziehen. Herta Däubler-Gmelin sagt, dass ihre SPD die SPD von Erhard Eppler sei.
Ich war ja mal Landesvorsitzender in Baden-Württemberg. Damals haben wir schon grüne Wahlkämpfe gemacht. Ich habe eigentlich die Ökologie in die Partei hineingetragen …
… und wurden nachher ihr Opfer.
Das will ich nicht sagen. Der Willy Brandt hat mich gewähren lassen. Der hat gesagt: »Mach mal! Ich bin nicht mit allem einig – aber mach mal!«
»Der blaue Himmel über der Ruhr«, den hat Willy Brandt seinen Wählern ja einst versprochen.
Das war aber schon 1961! Mit Willy Brandt kam ich glänzend zurecht. Für Helmut Schmidt aber – und dazu sein wörtliches Zitat – war »die Ökologie eine Marotte gelangweilter Mittelstandsdamen«. Insofern kam ich mit ihm natürlich nicht zurecht. Der SPD-Landesverband Baden-Württemberg war damals gemeinsam mit dem Landesverband Schleswig-Holstein die Speerspitze der Ökologie in der SPD. Dass die Grünen im Jahr 1980 hier reinkamen, ist Helmut Schmidt geschuldet. Ich bekam damals Körbe von Briefen nach der Wahl. Die Leute schrieben mir: »Wir haben grün gewählt! Aber nicht, um dich politisch umzubringen, sondern weil du dich nicht durchsetzen kannst gegen Helmut Schmidt.«
Sie haben damals als Ministerpräsident kandidiert – und Sie haben es nicht geschafft.
Das stimmt. Aber das wusste ich schon vorher.
Selbst in Bayern gab es
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