Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
kein einziges Beispiel in Deutschland kenne, dass irgendwelche jüdischen Jugendlichen zusammen beschließen: Jetzt schlagen wir mal einen Imam zusammen! Dass muslimisch-stämmige Jugendliche losziehen und einen Rabbiner in Berlin zusammenschlagen, das ist nicht legitimierbar durch ihre Religion und ich weiß auch gar nicht, ob die etwas über ihre Religion wissen. Dieser Angriff ist durch nichts entschuldbar. Ich bin nach dieser Attacke mit dem Berliner Rabbiner in die Synagoge gegangen und habe am Schabbes teilgenommen, um Solidarität zu zeigen. Ich halte es aber für falsch, solche Vorfälle über die Religion oder die ethnische Herkunft zu erklären. Bei Neonazis kommt schließlich auch keiner auf die Idee, mit der Religion zu argumentieren. Wir müssen uns die jeweiligen Milieus genauer angucken.
Die Angst ist ein schlechter Ratgeber?
Alles, was eine Einheitsfront erzeugt, ist von Übel. Das Genre der Islamkritiker hat hauptsächlich die Funktion – leider sekundiert durch einen Teil des deutschen Feuilletons –, über Pauschalisierungen eine Front zu erstellen, die auch säkulare Muslime, wie mich, in eine Verteidigungshaltung bringt. Ich bin doch selber jemand, der ein scharfer Kritiker ist von radikalen Entwicklungen im Gewand des Islam!
Stuttgart hat ja einen deutlich höheren Ausländeranteil als Berlin …
Was übrigens viele nicht wissen!
… und trotzdem gibt es hier keine Neuköllner Verhältnisse. Was machen die Stuttgarter besser als die Berliner?
Das hat sicherlich damit zu tun, dass man hier erkannt hat: Schaffa – ned schwätza! Buschkowsky 12 und andere schwätzen viel und problematisieren, wo sie nur können. Das, was die anderen ins Schwätzen investieren, investiert der Schwabe lieber ins Schaffen. Und natürlich kommt auch hinzu, dass die Wirtschaft einen massiven Einfluss hat. Wenn du eine Arbeitslosenquote hast von unter drei Prozent in Baden-Württemberg …
Das ist de facto Vollbeschäftigung.
Dann kriegen auch Leute mit schwierigeren Startbedingungen leichter eine Arbeit. Das merkst du natürlich.
Waren Ihre Eltern gläubige Moslems?
Meine Mutter hat mir beigebracht, wie man betet. Meine Mutter sagte mir: »Es gibt keinen muslimischen Religionsunterricht, also such dir selber aus, ob du in den evangelischen oder katholischen Religionsunterricht gehst. Die glauben auch an einen Gott. Wir nennen ihn Allah – sie nennen ihn Gott.« Meine Mutter sagte immer: »Die Christen und wir haben dasselbe Ziel, aber die Wege sind verschieden. Das schadet nicht, geh da ruhig hin.« Und so ging ich in den evangelischen Religionsunterricht. Ich kann mich erinnern: Eine Religionslehrerin holte mich einmal an die Tafel, weil ich der einzige Muslim in der Klasse war. Ich sollte den Kindern etwas über den Islam erklären. Jetzt stand ich da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Also habe ich gesagt: »Meine Mutter betet mit mir, bevor wir schlafen gehen.« Da hat die Lehrerin gerufen: »Des langt doch ned!« 13 – »Wie – des langt ned?« – »Ja, betet ihr ned fünfmal am Tag?« – »Nein, nur einmal, bevor wir ins Bett gehen.« – » Ja, wart ihr scho mol in Mekka?« – »In Mekka? Da kennen wir doch gar niemanden!« – »Habt ihr schon Opfer dargebracht?« – »Was für Opfer denn?« Sie fing halt an mit den fünf Pflichten des Muslims und hat das ganze Programm runtergerattert. Als ich nach Hause kam, hab ich zu meiner Mutter gesagt: »Meine evangelische Religionslehrerin meint, wir seien keine richtigen Muslime.« Daraufhin sagte meine Mutter: »Geh zu deiner Lehrerin und sag ihr: ›Meine Religion interpretiere ich so, wie ich es möchte.‹ Und sie interpretiert ihre so, wie sie es möchte. Und wenn wir es beide so halten, werden wir auf dieser Erde glücklich.« Ich glaube, meine Mutter hatte da mehr Weisheit als mancher Gelehrte.
Waren da auch Pietisten dabei?
Zum Teil ja. Als ich Kind war, haben meine Eltern den ganzen Tag geschafft und ich war gegen zwölf daheim. Was machst du jetzt? Es gab genau zwei Angebote, die für mich zur Verfügung standen: Das eine war das Evangelische Jugendwerk, das andere war der Württembergische Brüderbund. Und ich habe einfach beides mitgenommen. Die Pietisten vom Brüderbund waren um die Ecke, die hatten das bessere Sportangebot. Und die Stond 14 goht au rum.
Sie waren en der Stond? Om Gott’s Willa! Was haben Sie denn da g’macht?
Ich habe einfach zugehört und auf die Uhr geguckt und gewartet bis es rum ist – dann gab es
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