Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
die sagten: »Bring den Cem mit, lad’ ihn ein!« Ich war neugierig – was machen die? Und als es dann die Bescherung gab, dachte ich: »Na ja, klar, die können ja nichts für mich haben. Wie denn auch? Ich bin ja ziemlich kurzfristig dazugekommen.« Aber die hatten sogar ein Geschenk für mich, einen Wandkalender. Da war ich richtig gerührt. Meine Eltern haben immer gesagt: »Bis dich mal schwäbische Nachbarn zu sich einladen, da vergeht eine Generation.« Später habe ich dann die Aussiedler kennengelernt und gemerkt: Das erst mal Untersichbleiben richtet sich offensichtlich nicht gegen die Türken allein.
Das geht gegen Fremde allgemein?
Die Schwaben haben ja auch so schöne Begriffe wie »Neig’schmeckte« und »Rucksackdeutsche.« Das Ankommen braucht einfach Zeit, wenn man ned glei Schwäbisch koa.
Auch deutsche Flüchtlinge wurden so behandelt?
Ja eben. Das wusste ich früher nicht. Das habe ich erst später kapiert. Und da dachte ich mir: Okay, das liegt gar nicht daran, dass wir eine andere Religion haben. Die machen das auch so von Christenmensch zu Christenmensch – wenn der eine Katholik und der andere Protestant ist.
Stichwort: »Orden wider den tierischen Ernst«. 16 Sie sind ja 2013 »Ordensritter« bei diesem komischen Verein.
Ich habe die gewarnt! Ich habe denen gesagt: Wisst ihr, worauf ihr euch einlasst? Jemand aus einer muslimischen Familie, der in einer teilweise neu-pietistischen Gegend aufgewachsen ist und mit Karneval und Fasching nur bedingt zu tun hat! Aber die wussten, worauf sie sich einlassen.
Ist dieser Orden auch ein Zeichen dafür, dass Sie endgültig in Deutschland angekommen sind?
Es ist doch klar, dass sie sich sehr genau überlegt haben, wem sie diesen Orden andienen wollen. Und da spielt natürlich mindestens genauso eine Rolle, dass ich der erste Grüne bin, wie die Tatsache, dass ich der erste Ritter werde, der nicht Heinz oder Detlev oder Gustav heißt. Sondern a weng andersch.
Der Türkei geht es in letzter Zeit wirtschaftlich gut. Viele, vor allem junge Türken, gehen ja heute wieder in die Türkei zurück.
Meine Eltern gehen nicht mehr weg. Ich wollte sie nach Berlin holen, damit die Familie enger zusammenwohnt. Aber sie sagen: »Jetzt gehören wir endlich dazu. Jetzt gehen wir nicht mehr weg.«
In Berlin könnten sie türkisch sprechen.
Aber meine Mutter sagt: »Alle grüßen einen. Wenn du zwei Tage nicht auf die Straße kommst, dann fragen sie ›Frau Özdemir, isch alles recht? Isch alles o. k.?‹« Jetzt gehören sie dazu. Jetzt sind sie mit ihrem Mischmasch aus schwäbisch, deutsch und türkisch irgendwie Herr und Frau Özdemir, die dazugehören. In der Änderungsschneiderei meiner Mutter, da geht man vorbei und macht a Schwätzle. Da fragt man: »Herr Abdullah, geht’s gut? Isch älles recht?« Und umgekehrt. Das K. o.-Argument meiner Mutter war: In den schwäbischen Lokalzeitungen werden die Geburtstage ab einem gewissen Alter veröffentlicht. Und als meine Eltern mal in Berlin waren, hat sie erzählt: »Als ich Geburtstag hatte, stand das in der Südwestpresse.« Im Lokalteil – im »Ermstalboten«. Und alle Nachbarn haben gegrüßt und gratuliert. Und beim Einkaufen hat die Frau an der Kasse gesagt: »Frau Özdemir, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!« Frage meiner Mutter: »Wäre das in Berlin auch so?« Was sagst du dann?
Da ist man sprachlos?
Sie gehören jetzt dazu. Man ist gemeinsam alt geworden. Für meine Eltern ist Bad Urach jetzt Heimat. Die wollen da nicht mehr weg.
Sie haben gerade erzählt, was für Ihre Eltern Heimat ist. Was bedeutet Heimat für Sie?
Mit Sicherheit die schwäbische Sprache, die gehört irgendwie dazu bei mir. Sobald ich in Stuttgart am Hauptbahnhof den Zug verlasse, dann schwätze ich anders. Meine Frau sagt immer: »Es ist richtig an dir zu beobachten, wie du dich veränderst, sobald du schwäbischen Boden betrittst!« Da tritt eine andere Persönlichkeit zutage. In Berlin bemühe ich mich wirklich, halbwegs hochdeutsch zu reden.
Geht inzwischen doch ganz gut?
Ich habe einmal eine Veranstaltung gehabt, kurz nach meiner Wahl, in Bremen. Da ging es um das Thema religiöser Fundamentalismus. Ein ernstes Thema. Aber egal, was ich sagte: Die Leute kicherten. Ich wurde echt unsicher, du konzentrierst dich dann auch nicht mehr richtig. Das war schon fast wie bei Monty Pythons »Das Leben des Brian«, diese Balkonszene, kennen Sie die? Da fragte ich die Moderatorin: »Die kichern alle so. Was ist denn los?«
Weitere Kostenlose Bücher