Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
meinem Freundeskreis. Die haben mich nie diskriminiert. Meine schwäbischen Freunde haben mich mit nach Hause genommen. Ich bin mit denen aufgewachsen, ich habe so schwäbisch geschwätzt, wie die schwätzen. Ich gehörte dazu. Das Einzige war: »Bei dem Cem hört man zu Hause so komische türkische Musik. Und die reden auch ein bisschen komisch. Und essen ein bisschen anders. Aber sonscht isch er scho recht.« Der deutsche Staat hingegen hat mich am Anfang erst mal nicht willkommen geheißen. Obwohl ich im Kreiskrankenhaus in Bad Urach geboren bin, hat er mich zum Türken gemacht.
Hat Sie das geärgert?
Am Anfang habe ich das ja gar nicht gewusst.
(Beide lachen.)
Ich habe das erst später gemerkt, als ich mit meiner Schulklasse mal zum Schüleraustausch wollte – nach England. Und ich musste den Zug in Belgien verlassen, weil ich kein Durchreisevisum für Belgien hatte. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt: Ich gehöre nicht vollständig dazu. Ich erinnere mich noch gut, wie meine Lehrerin verzweifelt war und immer auf den Grenzbeamten eingeredet hat: »Des isch doch der Cem! Der g’hert doch zu onserer Klass’!« 9 Das hat den belgischen Grenzbeamten aber nicht beeindruckt. Der kannte den Cem nicht.
Und sprach auch nicht schwäbisch.
Da habe ich gemerkt: Egal wie gut du schwäbisch schwätzscht und dazugehörst – es gibt noch was anderes: die Staatsbürgerschaft, den Reisepass. Das gleichst du nicht aus, indem du integriert bist.
Waren Sie denn damals wirklich integriert? War das eine völlig normale Beziehung zu Ihren Freunden?
Na ja – wenn es irgendwie Zoff gab und meine Freunde zu meiner Verteidigung sagten: »Der Cem kann doch nichts dafür, dass er Türke ist!« – dann bleibt das natürlich im Kopf hängen. »Der kann doch nichts dafür!« Als ob ich eine Warze im Gesicht hätte. Es war jedenfalls nicht nur positiv. Aber das fiel mir erst später auf. Und das scheint mir eine Konstante zu sein: Der Begriff des Türken, das empfand ich früher weniger schlimm als heute, ist negativ besetzt bei uns. Das hat damit zu tun, dass man die Türkei als rückständiges Land wahrnimmt mit vielen Problemen. Es heißt: Die Türken sind hier Unterschichtszugehörige. Bildungsfern. Die Frauen werden alle unterdrückt und tragen Kopftuch. Die Männer sind ungebildet und etwas plump. Ich spitze das jetzt zu – aber das ist bei vielen das Bild des Türken.
Und alle, die nicht so sind, sind Ausnahmen?
Damit bin ich aufgewachsen. Den Satz habe ich bis zum Abwinken gehört: »Wenn alle so wären wie du, dann wäre es ja was anderes.« Das ist ein Lob, aber es ist ein vergiftetes Lob – weil man damit die abwertet, die dieselbe Muttersprache sprechen wie ich und deren Vorfahren auch aus der Türkei kommen.
Ich habe gelesen, Sie haben in der Schule mit Deutsch Schwierigkeiten gehabt. Stimmt das denn?
Mit dem Schriftdeutschen habe ich sogar sehr große Schwierigkeiten gehabt.
Sie haben Schwäbisch gelernt und gemerkt: Deutsch ist das nicht. Andere Grammatik, andere Aussprache.
Ich habe schwäbisch g’schwätzt und nicht hochdeutsch, weil mein ganzes Umfeld so sprach. Und zu Hause türkisch. Insofern gab es den Zugang zum Hochdeutschen nicht. Dann kommt noch eins dazu: Bei uns gab es halt keinen Brockhaus und keine Bücherwand. Sondern da gab es zwei Eltern, die berufstätig waren, die …
Wo haben Ihre Eltern gearbeitet?
Meine Mutter hat in der Papierfabrik gearbeitet, bis sie sich irgendwann mal selbstständig gemacht hat mit einer Änderungsschneiderei. Und als mein Vater, der lange Feuerlöscher hergestellt hat, dann in Rente kam, hat er bei meiner Mutter mitgeholfen in ihrem kleinen Betrieb.
Heute wird kritisiert, dass in türkischen Familien türkisch geredet wird. Sie dagegen sind dankbar dafür, dass Ihre Eltern mit Ihnen türkisch gesprochen haben. Wieso?
Zu Herrn Schäuble habe ich einmal, als er in einer Diskussion forderte, die türkischen Eltern sollten zu Hause deutsch reden, gesagt: »Ich bin froh, dass meine Eltern mit mir türkisch gesprochen haben.« Erstens haben sie überhaupt mit mir gesprochen! Und sie haben viel mit mir geredet und dafür bin ich ihnen dankbar. Und zweitens hätte ich auf alle Zeiten dieses Infinitiv-Deutsch gelernt. Wenn du das mal drin hast, bekommst du es nur schwer wieder los! Schäuble hat die Forderung danach nicht mehr wiederholt. Aber er ist auch nicht mehr Innenminister.
Es gibt ja noch mehr Missverständnisse. Sie haben etwas Merkwürdiges für sich entdeckt:
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