Ulysses Moore 6: Der erste Schlüssel (German Edition)
»Lange hätten wir das sowieso nicht mehr geheim halten können.«
Nestor schob die Gardine zur Seite, um besser hinausschauen zu können, und meinte dann: »Ich gehe jetzt mal deine Mutter suchen. Vielleicht ist sie in der Gaststätte.« Eilig verließ er die Küche.
Rick verteilte die Suppe auf zwei Teller. »Sie wissen, wie die Geschichte weiterging?«, fragte er Pater Phoenix.
Der Pfarrer nickte. »Nach dem Großen Sommer ließen sich die Moores einige Jahre nur selten in Kilmore Cove blicken«, erzählte er. »Doch dann starb der Großvater und John, Ulysses’ Vater, zog hierher. Das war ungefähr vor dreißig Jahren. Wir waren inzwischen mehr oder weniger erwachsen und keinem von uns war es gelungen herauszufinden, wozu die Schlüssel mit den Tiergriffen dienten. Wir hatten sie unter uns aufgeteilt und jeder hütete seinen wie eine Art Talisman. Doch als John kam und in die Villa einzog, geschah etwas. Ein Päckchen mit den vier Schlüsseln der Tür zur Zeit traf ein. Die Moores schlossen die Tür auf und entdeckten die
Metis.
«
»Das haben sie mir erzählt«, sagte Rick und tauchte seinen Löffel in die Suppe.
»Dann weißt du ja auch von den Reisen, die die Moores gemacht haben. Manchmal begleitete einer von uns sie, bis … bis zu jener Reise ins Venedig des achtzehnten Jahrhunderts, bei der sich Ulysses in Penelope verliebte.«
»Ja«, sagte Rick.
»Seine Liebe war unsterblich und bedingungslos. Das war jedem, der die beiden sah, auf den ersten Blick klar. Als das geschah, war ich gerade dabei, fern von Kilmore Cove mein Studium abzuschließen. Danach kehrte ich in meine Heimatstadt zurück, um Pfarrer von St. Jacob’s zu werden …« Pater Phoenix unterbrach sich kichernd. »Und da entdeckte ich, was geschehen war: In einem Gespräch vertraute Ulysses’ Vater mir an, dass er beschlossen hatte, für immer im Venedig des achtzehnten Jahrhunderts zu bleiben, damit Penelope und Ulysses gemeinsam in der Villa Argo leben konnten. Ich vermählte die beiden unten in der Höhle, in Anwesenheit ihrer Freunde hier aus dem Ort. Nun fanden die Freunde des Großen Sommers wieder zusammen.«
Pater Phoenix legte seinen Löffel in den leeren Teller. »Die Gruppe um Ulysses war nach und nach immer stärker von dem Wunsch besessen, die Geheimnisse dieses Ortes zu erforschen. Sie wollten alle Schlüssel haben und alle Türen ausprobieren. Doch sie entdeckten dabei nicht nur Schönes und Faszinierendes, sondern auch Grauenhaftes. Einige dieser sieben Türen führen zu entsetzlichen, gefährlichen Orten. Orte, die besser im Verborgenen geblieben wären. Der Urahn Raymond und dessen Sohn William hatten davor gewarnt und deshalb vor langer, langer Zeit versucht, alle Schlüssel verschwinden zu lassen …«
Rick hörte gespannt zu.
»Es gibt Dinge, die sich wissenschaftlich nicht erklären lassen. Dazu gehören die Türen von Kilmore Cove. Aber sie … meine Freunde … sie wollten um jeden Preis herausfinden, wer die Türen erbaut hat und warum. Waren es Vorfahren der Moores gewesen? Vielleicht Xavier, der Begründer der Dynastie? Oder waren die Erbauer verschwunden, ohne lebende Nachkommen zu hinterlassen? Aber wenn das der Fall gewesen wäre, wer sollte dann dem neuen Besitzer der Villa Argo die vier Schlüssel geschickt haben?«
Rick legte seinen Löffel weg.
»Ich habe keine Ahnung, was sie herausfinden konnten, aber ich glaube nicht, dass es viel war. Peter hatte ein System entwickelt, mittels dessen man zwischen den Orten, die durch die Türen verbunden sind, Nachrichten hin und her schicken konnte. Doch nach ungefähr zehn Jahren fiel die Gruppe wieder auseinander.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es gab einen Unfall. Auf einer ihrer Reisen wären Ulysses und Leonard beinahe ums Leben gekommen. Leonard verlor ein Auge und Ulysses wurde schwer verletzt. Die Nachforschungen über die Erbauer der Türen waren gefährlich, so wie auch die Türen selbst gefährlich waren. Die Gruppe hatte vorher schon beschlossen, Kilmore Cove von der übrigen Welt zu isolieren, um es zu schützen. Nun gingen sie noch einen Schritt weiter. Sie wollten die Türen verschließen und sämtliche Schlüssel verschwinden lassen. Die Geschichte wiederholte sich: Wie zuvor Raymond versuchte nun auch Ulysses, die Türen, die er geöffnet hatte, für immer zu verschließen. Penelope kam zu mir und bat mich um meinen Schlüssel.«
»Und Sie …«
»Ich gab ihn ihr. Und all die anderen, die beim Großen Sommer dabei gewesen waren, machten es
Weitere Kostenlose Bücher