Ulysses Moore – Das Labyrinth der Schatten
über den Fluch, der angeblich auf der Ca’ degli Sgorbi lastete. Sie sollte nicht an all die Horrorfilme, Spionageromane und Artikel über entführte Kinder nachdenken, die sie irgendwann einmal gesehen oder in der Zeitung gelesen hatte, sondern sich darauf konzentrieren, eine einfache Erklärung für alles zu finden.
Anita ging es gut. Ihr Mann wusste, wo sie war, und hatte sich aufgemacht, um sie abzuholen. Wenn er ihr nicht mehr erzählt hatte, dann nur, damit sie nicht allzu wütend auf ihre Tochter wurde.
Aber wenn das die Erklärung für alles war, warum war dann Tommaso ebenfalls verschwunden? Hatte sein Verschwinden etwas mit dem von Anita zu tun oder nicht?
Mrs Bloom hatte ihrer Tochter immer gesagt, man müsse die Geheimnisse und die Privatsphäre seiner Mitmenschen respektieren. Es war ein Grundsatz, an den sie bedingungslos glaubte. Aber jetzt musste sie eine Ausnahme machen: Sie würde in die Privatsphäre ihrer Tochter einbrechen und versuchen, etwas über ihre Geheimnisse herauszufinden. Schließlich war sie ihre Mutter.
An Miolì vorbei, der im Flur ein Nickerchen machte, ging sie in Anitas Zimmer.
Es war ihr äußerst unangenehm, Anitas Schubladen zu öffnen und in ihren Heften zu lesen. Aber es musste sein. Sie musste den Beweis dafür finden, dass die einfachste Erklärung auch die richtige war.
Beim letzten Telefongespräch mit ihrem Mann war sie stutzig geworden. Warum hatte er ihr geraten, das Haus nicht zu verlassen und niemandem die Haustür aufzumachen? Wa rum hatte sich jemand in die Ca’ degli Sgorbi geschlichen und einen Teil ihrer Restaurationsarbeiten zunichtegemacht? Wie hatte die Stelle wohl ausgesehen, die jetzt von einer Schicht weißer Wandfarbe verdeckt war?
Hektisch blätterte sie Anitas Hefte und Tagebücher durch. Dabei schämte sie sich so sehr, dass sie einen roten Kopf bekam. Noch beschämender war, dass sie nichts finden konnte. Zumindest zunächst nicht. Aber dann, als sie schon nicht mehr daran geglaubt hatte, fand sie doch etwas.
Eine kleine Notiz, die Anita in ihr Hausaufgabenheft eingetragen hatte, in die Rubrik des Tages vor dem Wochenende, an dem sie zu ihrem Vater geflogen war.
Eigentlich komisch, dass sie überhaupt geflogen ist, dachte Mrs Bloom. Normalerweise hasste Anita es, nach London zu fliegen. Diesmal aber hatte sie fast darum gebettelt hinzudürfen.
»Warum ..?«, murmelte Mrs Bloom und las den Eintrag.
Tommi anrufen wegen Treffen mit Übersetzer
Ein Treffen mit einem Übersetzer? Mit was für einem Übersetzer? Was übersetzte er? Und warum hatten sie ihn treffen wollen? Hatte es etwas mit der Schule zu tun? Mit einer Klassenarbeit? Einem Projekt? Sie sah das ganze Hausaufgabenheft durch, konnte aber zu dem Thema nichts weiter finden. Dafür aber einen anderen Eintrag, der ihr auffiel, weil er ihr schlecht zu Schule und Hausaufgaben zu passen schien.
Ulysses Moore? Suchen.
Und Mrs Bloom begann zu suchen. Zuallererst in ihren Buchregalen und dann im Computer. Als sie auf der Festplatte nichts gefunden hatte, ging sie ins Internet, öffnete den Browser und gab in einer bekannten Suchmaschine »Ulysses Moore« ein.
Mrs Bloom erfuhr, dass er ein Autor von Abenteuerromanen war. Sie fand einige bunte Websites von verschiedenen Verlagen, die ihr aber nicht weiterhalfen. Sie musste eine Weile suchen, bis sie Namen von Übersetzern fand. Sie konzentrierte sich auf den Namen des italienischen Übersetzers und stellte fest, dass er auch selbst Bücher schrieb.
Er schreibt ja ganz schön viele Bücher, dachte Mrs Bloom und runzelte die Stirn.
Treffen mit Übersetzer
Hatten sich Anita und Tommi mit dem Mann getroffen? Und wenn ja, wo?
Vor ihrem Flug nach London hatte Anita Venedig nicht verlassen. Tommaso auch nicht. Tommaso war, soweit Mrs Bloom wusste, noch nie aus Venedig herausgekommen.
Also mussten sie sich in Venedig getroffen haben. Vielleicht bei einer Lesung in einem Buchladen?
Mrs Bloom fahndete nach einer solchen Veranstaltung, konnte im Internet aber nichts dazu finden. Zumindest nicht in Venedig. Aber an dem Tag vor dem mutmaßlichen Treffen mit Anita und Tommaso war der Übersetzer in San Donà di Piave gewesen und hatte dort in einer Stadtbücherei aus einer Übersetzung vorgelesen. Mrs Bloom fand den Artikel einer Lokalzeitung, in dem darüber berichtet wurde und in dem auch stand, dass der Übersetzer in Verona lebte. Mehr Informationen brauchte sie nicht. Mrs Bloom schaltete den Computer aus.
Nervös tigerte sie durch die
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