Ulysses Moore – Das Labyrinth der Schatten
überwachen, und helfen mir, meine Tochter zu finden. Was halten Sie davon? Kommen Sie rauf! Ich habe den Kaffee schon aufgesetzt.«
Unsicher hob der Mann eine Hand zum Zeichen, dass er sie verstanden hatte. Mrs Bloom schloss das Fenster und goss den Kaffee in eine Tasse ein. Sie ging zur Tür, öffnete sie und lehnte sie an, damit der Fremde eintreten konnte. Sie gab Miolì ein Zeichen, still zu sein, und versteckte sich hinter der Badezimmertür.
Sie hörte, wie unten die Haustür aufging. Und dann Schritte auf der Treppe.
Eco musste zugeben, dass Mrs Bloom eine intelligente Frau war. Er schob die angelehnte Wohnungstür auf, fragte »Darf ich?«, und trat ein. Er hörte keine Antwort, aber durch die Überwachung wusste er bereits, wo sich die Küche befand, und nahm an, dass sie ihn nicht gehört hatte. Im Flur fragte er noch einmal »Mrs Bloom? Darf ich?« Er fand es seltsam, mit einer Person zu sprechen, die er überwachte.
In der Küche stand eine Tasse mit frisch gekochtem Kaffee auf dem Tisch. Von Mrs Bloom aber war nichts zu sehen.
Sobald Eco die Küche betreten hatte, kam Mrs Bloom hinter der Badezimmertür vor, schlich durch den Flur und schloss die Wohnungstür hinter sich ab.
Ohne Schlüssel war sie jetzt von innen nicht mehr zu öffnen. Also konnte Eco nicht mehr raus. Und telefonieren konnte er auch nicht, denn das Telefonkabel hatte sie mitgenommen und der Handyempfang war in dem alten Haus mit seinen dicken Mauern miserabel.
Belagerer und Belagerte hatten die Plätze getauscht.
Eco setzte sich auf einen Stuhl und trank den Kaffee. Er schmeckte ausgezeichnet.
Kapitel 16
Im Labyrinth
Im Labyrinth war Licht.
All das Licht, das in den unterirdischen Gängen und am sprudelnden, schäumenden Fluss gefehlt hatte, war im Labyrinth eingeschlossen wie in einem Schrein. Es war ein warmes, freundliches Licht, das wie ein Streicheln über die Haut glitt.
Was sie von dem Labyrinth sehen konnten, war ein einfacher Gang. Er war schmal und hoch wie das Schiff einer gotischen Kathedrale. Sehr schmal und sehr hoch.
Anita hielt die Tür auf, damit Jason und der Riese Zephir nachkommen konnten. Dann zog sie, ohne ein Wort zu sagen, den Schlüssel ab und ließ die Tür los. Sie schloss sich leise.
»Jetzt sind wir drin«, flüsterte Jason. Er streckte eine Hand aus und berührte die Wand. Sie war rau und porös und eigenartig gezeichnet, so ähnlich wie die Haut einer Schlange. Sie wirkte nicht so, als sei sie von Menschen erbaut worden, sondern eher wie etwas Natürliches, das mit der Zeit gewachsen war.
»Wohin?«, fragte Anita, die sich gerade etwas desorientiert fühlte. Sie ging weiter in den Gang hinein. Dabei spürte sie etwas, das sich anfühlte, als würde sich eine größere Luftmasse bewegen. Zephir ging an ihr vorbei und seine golden schimmernde Haut schien mit dem Licht zu verschmelzen, so als würden Haut und Licht aus derselben Materie bestehen.
Anita drehte sich nach der Tür um, aber sie war verschwunden. Dort, wo vorhin eine Mauer gewesen war, begann jetzt ein hoher, schmaler Gang, der genauso aussah wie der erste, den sie betreten hatten.
Das Labyrinth veränderte allmählich seine Form.
Sie überlegten lange, welche Richtung sie einschlagen sollten.
»Ich denke, wir können jeden der beiden Gänge nehmen«, meinte Zephir.
»Das kann nicht sein«, widersprach Anita. »Es muss doch eine richtige und eine falsche Richtung geben.«
»Nicht unbedingt«, erwiderte der Riese. »Vielleicht kommt es auch nur auf den Unterschied an, der darin besteht, stehen zu bleiben oder weiterzugehen. Und im Labyrinth muss man immer weitergehen.«
»Weise Worte«, sagte Jason. »Also gehen wir weiter.«
»Aber wohin denn?«, fragte Anita leicht gereizt.
Die beiden sahen den Riesen an und dieser antwortete: »Hier gibt es tausend Räume und tausend Dinge, aber manche Räume sind wichtiger als andere. Und leichter zu erreichen.«
»Wie zum Beispiel …?«, fragte Jason.
»Mitten im Labyrinth gibt es einen Ort, den man das Zimmer des Gleichgewichts nennt. Ich glaube, dort sollten wir anfangen.«
Jason sah ihn zweifelnd an. »Ich höre davon zum ersten Mal. Was ist das für ein Zimmer?«
»Das weiß ich nicht. Du vergisst, dass auch ich das Labyrinth noch nie betreten habe. Ich weiß nur das, was meine Lehrer mir erzählt haben.«
Zephirs Antwort reizte Anita noch mehr. »Würdest du uns bitte endlich erzählen, was du über dieses Labyrinth weißt?«
»Ehrlich gesagt ist das sehr wenig. Ich
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