Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
so, dass er vom Seitenfenster aus den Abschnitt der Straße sehen konnte, den sie hinter sich gelassen hatten. »Glau ben Sie, dass die drei nachkommen werden?«
Die drei, die er meinte, waren die Flint-Cousins, für die in dem Kleinwagen des Arztes kein Platz mehr gewesen war (und in den er sie auch so nicht hineingelassen hätte, da sie immer noch voller Schlamm waren).
»Ich habe ihnen zehn Pfund gegeben«, sagte sein Bru der mit einem spöttischen Lächeln, »und ihnen zehn wei tere versprochen, wenn sie uns bei der Arbeit helfen.«
»Was das betrifft …«, sagte der Blonde und hielt sich an der Rückseite des Sitzes fest, auf dem Voynich saß. Die ganze bisherige Fahrt über hatte sich der Chef der Brand stifter in Schweigen gehüllt und mit melancholischer Miene auf das von schwimmenden Trümmern übersäte Meer hinausgeschaut. »Warum halten Sie es eigentlich für notwendig, Doktor Bowen? Das ganze Haus in Brand zu stecken, meine ich.«
»Ob Sie es glauben oder nicht«, antwortete der Arzt ganz ruhig, »im Grunde haben Sie mich auf diese Idee gebracht. Bis gestern hatte ich mich darauf beschränkt, Informationen über diese Angelegenheit zu sammeln sowie über die darin verwickelten Personen. Und natürlich auch über Sie. Doch die Begegnung mit Ihrem Chef am Strand wurde für mich zu einem Fingerzeig des Schicksals. Und dann die unmittelbar darauf folgende Überschwemmung! Das war wie der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, wenn ich mir den billigen Witz erlauben darf. Ein riesiger Tropfen, der mich davon überzeugte, dass es Zeit wurde zu handeln.«
»Und warum, wenn ich fragen darf, glauben Sie, unsere Hilfe zu brauchen?«, hakte der Blonde nach.
»Was für eine Frage«, entgegnete der Arzt. »Auf diesem Gebiet sind Sie doch die Experten. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie ein Feuer angezündet – nicht einmal im Kamin. Ich habe keine Ahnung, wie man vorgehen soll, wenn man ein ganzes Gebäude niederzubrennen hat!« Er gab Gas. »Aber falls Ihnen das Sorgen machen sollte: Der einzige tatsächlich rechtmäßige Besitzer wird nichts dagegen unternehmen können. Den habe ich bereits ausgeschaltet«, fügte er mit einem teuflischen Grinsen hinzu.
Der blonde Schere-Bruder hielt es für besser, das Gespräch nicht weiter zu vertiefen, und ließ die Lehne des Fahrersitzes los. Er lehnte sich zurück, rief dann aber sofort: »Aua! Im Kofferraum ist irgendetwas Spitzes, das sich durch die Rückenlehne drückt.«
»Ich nehme an, dass es sich dabei um den patentierten Kleideraufhänger meiner Gattin handelt«, erwiderte der Arzt und riss in der Haarnadelkurve das Lenkrad herum. Statt Himmel und Meer sah man durch die Fenster jetzt das weiße Gestein der Klippen und das Grün der Rhododendren .»Wir nehmen ihn auf jede Reise mit.«
»Wollen Sie denn verreisen?«
»Ja«, bestätigte der Arzt. »Sobald ich mit der Villa Argo fertig bin, werde ich meine Frau holen, und wir werden endlich diese Stadt verlassen … für immer. Ich habe nicht vor, jemals wieder hierher zurückzukehren.«
Er beschleunigte so heftig, dass sich alle drei mitfahren den Brandstifter instinktiv an den über den Fenstern angebrachten Griffen festhielten.
Nun meldete sich der Lockenkopf zu Wort. »Entschul digen Sie bitte, aber … Wenn Sie und Ihre Gattin ohnehin planen, von hier wegzuziehen, warum sind Ihnen dann das Haus auf den Klippen, die Türen und die Schlüssel noch so wichtig?«
Dieses Mal gelang es Bowen nicht, seine Selbstbeherrschung zu wahren. »Sie haben leicht reden! Ich bin eben nicht so wie die anderen«, platzte es aus ihm heraus. »Ich schaue nicht einfach weg und tue so, als ob etwas, das es eigentlich nicht geben dürfte, nicht existiert. Es ist eine Frage des Prinzips. Seit Jahren sehe ich mir das an. Seit Jahren! Ich höre den Kranken zu, den Alten, den Sterbenden und den armen Irren. Und jeder von ihnen kennt zumindest einen Teil der Geschichte. Hier eine Tür, da eine Tür. Der eine oder andere hatte alte Schlüssel in der Schublade und eines Tages sind sie verschwunden! Und dann natürlich der Besitzer der Villa Argo, der das Haus niemals verlässt. Und der verrückte Uhrmacher, der von einem Tag auf den nächsten verschwindet. Die Dame, die von den Klippen fällt. Die Zwillinge aus London, die sich in alles einmischen. Ach, ich habe es so satt! Es wird einfach Zeit, dem allem ein Ende zu bereiten!«
»Für wen arbeiten Sie?«, fragte Voynich, der bis dahin schweigend zugehört
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