Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
hatte.
»Wie bitte?«
Wie auf ein Stichwort hin erschien nun das Türmchen der Villa Argo am Horizont und zeichnete sich klar gegen den bedeckten Himmel ab.
»Ich habe Sie gefragt, für wen Sie arbeiten. Wissen Sie, all Ihr Gerede über Ihre Prinzipien beeindruckt mich nicht im Geringsten. Ich persönlich würde es wesentlich glaubhafter finden, wenn Sie mir sagen, dass Sie von je mandem kontaktiert wurden. Von jemandem den Auf trag erhielten, die Schlüssel einzusammeln und das Haus auf den Klippen zu zerstören. Von dem Sie ein schönes Sümmchen erhalten, mit dem Sie sich eine Luftverände rung leisten können.«
Bowen wurde augenblicklich rot vor Wut. »Was unter stellen Sie mir da?«
»Ich
unterstelle
gar nichts, lieber Doktor Bowen. Ich frage einfach nur. Wenn Sie und Ihre Frau wegziehen wollen, würde Ihnen ein schönes, rundes Sümmchen sicher sehr gelegen kommen.«
Voynichs Worte brachten Bowen so in Rage, dass es dem Arzt die Sprache verschlug. Mit verbissener Miene klammerte er sich ans Lenkrad.
Was Voynich betraf, so hatte er durch seine provokante Frage endlich die ersehnte Stille herbeigeführt. Er sah aufs Meer hinaus und dachte an sein Auto, das nun mitsamt seinem Inhalt irgendwo auf dem Boden dieses Meeres ruhte. Und an sein kostbares Manuskript, das nun ebenfalls zerstört war.
Vor dem verschlossenen Gartentor der Villa Argo hielten sie an. Bowen löste seinen Sicherheitsgurt, holte die Schlüssel aus dem Handschuhfach und machte Anstalten, seine Autotür zu öffnen.
»
Also
«, sagte Voynich, bevor der Arzt aus dem Auto stieg, »wenn Sie wirklich wollen, dass wir Ihnen helfen, dieses Haus niederzubrennen, dann besorgen Sie uns ein Fluchtfahrzeug – oder veranlassen Sie Ihren Auftraggeber dazu, eines zu besorgen.«
Kapitel 15
Samthändchens Werkstatt
»Samthändchen bewahrt da drinnen alte Fahrräder auf«, sagte Jason mit einem Blick zu dem Schuppen hinüber. »Er ist Fred Halbwachs Cousin und er sollte eigentlich Schuster werden. Aber seine wahre Leidenschaft sind Reifen und anderer Kram, der mit Fahrzeugen zu tun hat.«
»Das sehe ich«, sagte Anita, die zwischen den Gitterstäben des Zauns hindurch den Hof betrachtete, der mit Booten, Rudern, Autotüren und Reifen vollgestellt war. »Und du schlägst vor, dass wir jetzt da reingehen und Fahrräder klauen?«
»Nein, ich schlage vor, uns welche auszuleihen«, erwiderte Jason mit einem unschuldigen Lächeln. »Wenn erwüsste, dass es sich um einen Notfall handelt, würde er sie uns selbst geben. Aber er ist gerade nicht da. Und wir haben nicht die Zeit, nach ihm zu suchen.« Er reckte sich, griff nach zwei Gitterstäben und zog sich daran hoch. »Man kann das Tor nicht von außen öffnen.«
»Mir gefällt die Wendung nicht, die diese Geschichte nimmt«, murmelte Anita verstimmt.
Unbeobachtet kletterten sie über den Zaun und flitz ten dann in eine Gasse hinein, in der sich abgestellte Gegenstände befanden.
»Vielleicht könnten wir ihm einen Zettel dalassen, auf dem steht, dass wir die Fahrräder so bald wie möglich zurückbringen«, schlug Anita vor, während sie sich zwischen den Stapeln von Reifen hindurchschlängelten wie zwei Forscher in einem Urwald. Die Reifen waren nach Größe sortiert: Autoreifen, Lastwagenreifen, Traktorreifen, Motorradreifen und Fahrradreifen. Dazwischen lagen Radnaben und Auspufftöpfe in Stapeln.
Inmitten all des Schrotts fand Jason seinen Weg so sicher, als hätte er einen Kompass dabei. Nach einer Weile hatten sie endlich den Schuppen erreicht.
»Hier ist die Werkstatt«, verkündete der Junge.
Im Schatten des Vordachs lagen Fahrräder, Motorrad teile, Fahrgestelle von Autos und alte Autositze voller Hundehaare.
»Aber was macht dieses Samthändchen nur mit all dem Zeug?«, fragte Anita.
»Rick behauptet, dass man hier jedes beliebige Teil jedes beliebigen Fahrzeugs finden kann, das jemals auf einer Straße unterwegs war. Und wahrscheinlich hat er recht. Komm, wir müssen hier entlang.«
Sie erreichten den Eingang zur Werkstatt und sahen nach, ob jemand drin war. Aber die Tür war abgesperrt und es war kein Mensch zu sehen. Vom Werkstatteingang führte eine gewundene Gasse, die breiter als die anderen war, zum Tor des Zauns.
»Hier könnten wir schnell etwas Geeignetes finden«, sagte Jason und ging auf einen Stapel von Fahrrädern zu, die etwas weniger kaputt aussahen als die anderen. »Peter Dedalus hat hier praktisch gewohnt«, erklärte er, wäh rend er ein Rad nach dem anderen
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