Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
Tierärztin, und ihrem Sohn versorgt. Doch angesichts des Chaos, das immer noch in dem Städt chen herrschte, gingen alle davon aus, dass der Doktor gerade mit etwas beschäftigt war, das Vorrang vor den verletzten Bewohnern von Kilmore Cove hatte.
Anita war in die Kirche gegangen, in der Hoffnung, dort etwas über den Verbleib ihres Vaters und ihres Freundes Tommaso zu erfahren, denn in der Kirche wur den Listen mit den Namen der Verschollenen und Wie deraufgefundenen geführt. Doch Mr Bloom und Tom maso waren nicht aus Kilmore Cove und niemand schien sie bemerkt zu haben. Erst als sie nach Black Vulcano fragte, der ihren Vater vermutlich als Letzter gesehen hatte, erhielt sie eine Auskunft.
Offenbar war Black ein paar Stunden zuvor in die Kli nik gebracht worden. Er schien unverletzt gewesen zu sein, zumindest konnte er laufen. Und er war dort tat sächlich nicht allein erschienen.
Diese Information ließ Anita neue Hoffnung schöp fen. Und sie würde nicht lange brauchen, um mehr zu erfahren: Die Klinik befand sich am anderen Ende des Platzes, gegenüber der Kirche. In Kilmore Cove war ja im Grunde alles mit wenigen Schritten zu erreichen.
»Brot und Kuchen! Brot und Kuchen für alle!«, rief jemand aus der Konditorei Chubber, vor der sich allmäh lich eine kleine Menschenmenge versammelte.
Der unwiderstehliche Duft nach frischem Brot, Blätterteig, Hefegebäck, Schokolade, Vanillecreme und tausend anderen Köstlichkeiten breitete sich immer stärker aus.
Mit neu gewonnener Zuversicht überquerte Anita den Platz. Wenn sie hätte wetten müssen, wo sie Jason am ehesten treffen würde, hätte sie auf Chubber gesetzt.
Doch er war nicht dort.
Sie ging an allen Leuten vorbei, die vor der Konditorei standen, umrundete das Denkmal für den König von Eng land, den es niemals gegeben hatte, und kehrte zu der Stelle zurück, an der sie vorhin vom Motorrad gestiegen war.
Auch hier war er nicht.
Anita fragte sich, was sie nun tun sollte: hier stehen bleiben, um auf ihn zu warten, oder schon mal allein zur Klinik vorgehen?
Sie entschloss sich zu Letzterem und wollte gerade gehen. Doch genau in diesem Augenblick fiel ihr etwas auf: Wenige Schritte von ihr entfernt war in der Schlamm schicht, die das Pflaster des Platzes überzogen hatte, ein Zeichen. Es sah so aus, als ob es jemand mit dem Fuß hineingeritzt hätte.
Sie ging näher heran und merkte, dass es sich um einen Buchstaben handelte. Ein großes »E«. Daneben waren andere Zeichen. Sie trat noch ein paar Schritte näher und sah, dass jemand eine Botschaft in den Schlamm geschrie ben hatte:
Entschuldige,
wenn ich nicht zurückkomme.
J.
Ungläubig starrte sie die Buchstaben an. Warum sollte Jason denn nicht zurückkommen? Hatten sie sich denn nicht vorhin abgesprochen? Und wo sollte er hingegan gen sein? Vielleicht zusammen mit den anderen zur Villa Argo?
Und was wollte er dort?
Allmählich gelangte sie zu der Überzeugung, dass das eigentlich gar nicht so wichtig war. Sie war nur furchtbar enttäuscht. Die Vorstellung, dass Jason sie im Stich ließ und sie nun allein nach ihrem Vater und den anderen suchen musste, verletzte sie zutiefst.
»Du bist einfach nur ein Egoist«, murmelte sie wütend, während sie mit dem Fuß die Nachricht auslöschte. »Du und deine Pläne! Du und deine Ideen! Du und deine Abenteuer!«
Die traurige Wahrheit war, dass Jason sich nur mit dem beschäftigte, was ihn gerade interessierte. Er folgte seinen Instinkten, seinen Einfällen, und nahm die Wünsche der anderen nicht wahr. Auch nicht die seiner Freunde und seiner Familie.
»Du bist ein unvernünftiger kleiner Junge«, brum melte Anita auf dem Weg zur Klinik vor sich hin. »Ein sehr kleiner Junge. Wesentlich kleiner, als du glaubst. Und dabei hätte ich dich jetzt so gebraucht.«
Sie fragte sich, ob sie Rick und Julia Bescheid geben sollte. Aber vielleicht war Jason ja bei ihnen. Oder sollte sie einfach dasselbe machen wie er und sich um ihre eige nen Angelegenheiten kümmern?
Als Anita die Klinik betrat, hatte sie immer noch keine Entscheidung getroffen.
Bis vorne zur Eingangshalle waren provisorische Betten aufgestellt worden. Anita sah Leute, die von einem Lager zum anderen gingen, um die Verletzten zu trösten, und Miss Biggles, die mit einem Tropf an einem Rollständer durch den Raum lief.
Hier wurde dringend Hilfe gebraucht.
Für Abenteuer und Geheimnisse war jetzt keine Zeit.
Sie hörte auf, an Jason Covenant zu denken.
Anita drehte auf der Suche nach
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