Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
offen stehende Haustür an. Er erwartete beinahe, dass aus dieser Öffnung eine dumpfe Stimme ertönte, die sie fortjagte. Allein schon der Gedanke daran ließ ihn eine Gänsehaut bekommen.
Dann geschah tatsächlich etwas: Wie durch einen plötzlich entstandenen Luftzug schlug die Tür zu. Der kleine Flint sprang zurück. Er war sich fast sicher, gesehen zu haben, wie sich in der Villa Argo etwas bewegte: wieder die unheimliche Gestalt mit dem langen Gegenstand, der einem Schirm ähnlich sah.
Wie von einer unsichtbaren Kraft herbeigerufen, wehte vom Meer ein heftiger Wind herüber, der mit einem Schlag sämtliche Fenster im ersten Stock zuknallen ließ. Die Villa Argo schloss sich gegen die Außenwelt ab, so wie sich eine Schildkröte in ihrem Panzer verkriecht.
Das Haus war lebendig! Es schien so etwas wie eine eigene Seele, ein Eigenleben zu besitzen.
Und es hatte ihnen gezeigt, dass sie nicht willkommen waren.
Kapitel 22
Der alte Pfad
Im grauen Licht des wolkenverhangenen Spätnachmittagshimmels kam Jason der Turtle Park wie ein vornehmer, altmodischer Salon zur Teezeit vor. Zwischen hoch wuchernder Erika und anderen Sträuchern bahnte er sich einen Weg und stieg den Hang hinauf. An einem trockenen Springbrunnen und den verrosteten Skeletten der Gewächshäuser vorbei gelangte er zu der von Kiefern gesäumten Allee.
Hier und da glitzerten an Baumstämmen kleine Rechtecke aus Metall: Bevor hohes Gras und Unkraut den Park eroberten, hatte jeder Baum sein eigenes Schild gehabt, auf dem der Name seiner Art verzeichnet war.
An den Wegkreuzungen ragten aus dem Efeu und den anderen Schlingpflanzen die Überreste alter Statuen. Wen sie darstellen sollten, war nur noch schwer zu erkennen: Titanen, alte Schutzgottheiten der Wegkreuzungen, geflügelte Pferde, Hunde mit mehreren Köpfen, Phönixe und andere längst vergessene Wesen.
Jason bildete sich ein, dass im Park die Stimmen der Menschen widerhallten, die ihn vor vielen, vielen Jahren besucht hatten. Der Park war schon lange geschlossen. Schon damals, als Ulysses Moore als Kind nach Kilmore Cove gekommen war, war er nicht mehr gepflegt worden. Dann hatten er und seine Freunde in jenem Sommer die Höhlen entdeckt. Es hieß, dass ganze Statuen und auch einige Steinbänke von einem Tag auf den anderen verschwunden und eingebrochen seien. Das war auch nicht weiter verwunderlich gewesen: Der gesamte Park war auf einer Fläche angelegt worden, unter der sich ein ausgedehntes Netz von unterirdischen Höhlen und Gängen erstreckte.
Hier in diesem Park, fern von den Augen und Ohren der Erwachsenen, hatte sich die Gruppe des Großen Sommers getroffen. Und von genau diesem Park aus hatten Ulysses Moore und seine Freunde begonnen, die unterirdische Welt unter Kilmore Cove zu erkunden.
Hier hatten sie nach Antworten auf ihre Fragen gesucht, und deshalb war es nur logisch, dass dies der richtige Ausgangspunkt für eine Suche nach der Lösung des letzten Geheimnisses war. Der Ort, an dem sich die Tür zur Zeit befand, die nach Agarthi führte. Die Tür, die nur mit dem Schlüssel des Drachen geöffnet werden konnte.
Jason war noch nie dort gewesen, aber er wusste, wie man hinkam. Black Vulcano hatte es ihm erst vor Kurzem erklärt. Außerdem hatte Jason in Ulysses Moores Notizbüchern noch einige genauere Angaben gefunden.
Krampfhaft bemüht, nicht an Anita, Rick und Julia zu denken, ging Jason an dem Denkmal der drei Schildkröten vorbei, dem Markenzeichen der Erbauer der Türen, und betrat einen Weg, zu dessen beiden Seiten Pflanzen mit leuchtend roten Blättern wuchsen. Das Gesumme der Insekten, die um ihn herumflogen, war beinahe schon ohrenbetäubend. Sonnenstrahlen durchdrangen die Wolkendecke und warfen goldene Flecken auf das Laub und den Boden.
Jason schob die Blätter mit beiden Armen zur Seite, um auf eine kleine, eingesunkene Lichtung zu kommen, die von einem Ring Zypressen beschattet wurde.
In der Mitte dieser Lichtung befand sich ein niedriges Gebäude, das ungefähr die Form eines Kopfes hatte. Die eine Seite zeigte eine dämonische Fratze mit runden Augen und faltiger Haut und einem Mund, der sich zu einem ewigen Schrei oder vielleicht auch einem ewigen Gähnen geöffnet hatte. In dieser Öffnung hatten sich Sträucher und andere Pflanzen angesiedelt und waren zu einem undurchdringlichen Dickicht zusammengewachsen.
Bei dem Versuch, ihre Zweige beiseitezuschieben, verletzte Jason seine Hände an den Dornen. Er brauchte eine Weile, bis er ein Schlupfloch
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