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Ulysses Moore – Die Stadt im Eis

Ulysses Moore – Die Stadt im Eis

Titel: Ulysses Moore – Die Stadt im Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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geschaffen hatte, durch das er ins Gebäude kriechen konnte.
    Weiter innen in dem steinernen Mund war eine von außen nicht sichtbare Holztür. Als Jason näher heranging, sah er, dass sie aus mehreren Schichten Holz bestand, in die Symbole geschnitzt waren: elf Kreise, die durch ein Netz von Strichen miteinander verbunden waren.
    Er hatte diese Kreise und Striche bereits anderswo gesehen: auf der unfertigen Tür von Arcadia. Er hatte keine Vorstellung davon, wie man jene Tür fertigstellen könnte, aber er wollte es versuchen. Alles, was er darüber wusste – oder zumindest zu wissen glaubte –, war, dass die Türen zur Zeit unzerstörbar waren: Ihre Angeln hätten dem Angriff eines Nashorns standgehalten und kein Feuer konnte ihr Holz verbrennen.
    Das Schloss, das aus einem ihm unbekannten Metall geschmiedet war, glitzerte drohend. Das finstere Schlüs selloch war unregelmäßig geformt.
    Außer dem Ersten Schlüssel gab es nur einen einzigen, der den Mechanismus in Gang setzen konnte, durch den sich die Tür öffnete: Es war genau der Schlüssel, den Jason jetzt in der Hand hielt.
    Der Schlüssel des Drachen.
    Jason wog ihn lange in der Hand. Er musste an das denken, was auf Doktor Bowens Notizzetteln gestanden hatte. Nämlich, dass man hinter dieser Tür jede erdenkliche Antwort fand.
    Ein letztes Mal drehte er sich um und warf noch einmal einen Blick auf den Park.
    Von dem Eingang des Gebäudes aus gesehen, wirkte die Lichtung mit ihrer Einfassung aus Zypressen gespenstisch düster.
    Ohne weiter zu zögern, steckte Jason den Schlüssel mit dem Drachen in das Schloss. Als sei es erst kürzlich geölt worden, sprang es sofort mit einem trockenen
Klack!
auf.
    Jason öffnete die Tür und trat ein.
    Er fand sich in einem feuchten Gang mit unebenen Wänden wieder. Es handelte sich um eine kleine, leicht ansteigende Grotte, in der es irgendwo leise tropfte.
    Jason bemerkte als Erstes die Kälte. Eine beißende und klirrende Kälte, wie sie normalerweise im Hochgebirge herrscht.
    Weil er nicht wusste, was ihn erwartete, ging Jason sehr vorsichtig weiter, bis er das Ende des Ganges erblickte.
    Mit klopfendem Herzen legte er die letzten Meter zurück, die ihn von dem Ausgang der Grotte trennten. Gleich darauf stockte ihm der Atem angesichts des Anblicks, der sich ihm hier bot: ferne, verschneite Gipfel und ein von schroffen, glitzernden Felsbrocken eingerahmter, kleiner See. Hinter dem See erhob sich eine scheinbar himmelhohe Felswand, die von einer tiefen Schlucht und dem durch sie fließenden Bach in zwei Hälften geteilt wurde.
    Vor dem Eingang der Schlucht stand ein einfaches Häuschen aus Stein, auf dessen Dach weiße Fahnen wehten.
    Jason ging auf das Häuschen zu, das einzige Anzeichen menschlicher Anwesenheit in dieser unwirtlichen Landschaft. Wenige Minuten später stand er frierend davor und rieb sich die kalten Hände.
    Er klopfte.
    Als er sich mit der Hand durch die Haare fahren wollte, merkte Jason, dass sie ihm an der Stirn klebten: Die Luft um ihn herum war von einem feinen, eisigen Wasserdampf erfüllt.
    Er wartete, ob jemand auf sein Klopfen antwortete. Er schlug ein zweites Mal gegen die Tür. Dann öffnete er sie.
    Die Tür war nicht abgeschlossen.
    Abgesehen von einem Bett und einem winzigen Altar war der Raum leer. Von dem Altar ergoss sich ein erstarrter Wasserfall aus Wachs auf den Boden hinunter, das Wachs von Tausenden von Kerzen, die über die Jahre hinweg hier gebrannt hatten. Auf die Wand dahinter war das Bildnis eines Mannes im Schneidersitz gemalt worden.
    Jason wollte keine Zeit mehr verlieren. Es mussten viele Jahre vergangen sein, seit das letzte Mal jemand das kleine Haus betreten hatte. Dort drinnen würde er nichts finden, das ihn weiterbrachte.
    Er ging wieder hinaus, verschränkte die Arme, wie um die Wärme im Körper zu halten, und wagte sich in die Schlucht hinein.
    Sie war nirgendwo breiter als zehn Meter und viele Dutzend Meter tief.
    Von dem Bach, der in der Mitte ihrer Sohle floss, ging eine feuchte Kälte aus. Je weiter Jason vordrang, desto lauter wurde das Rauschen des Wassers, bis es so laut dröhnte wie ein Flugzeugmotor.
    Jason hatte bereits einige Hundert Meter zurückgelegt. An manchen Stellen berührten sich hoch über ihm die Kanten der beiden Schluchtränder beinahe. Die Felswände waren glatt und glänzend und gelegentlich fielen Jason hineingehauene Nischen auf. In einer stand eine Statue, in einer anderen sah er die Überreste eines Feuers. Erstarrtes Wachs.

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