Um die Wurst (German Edition)
hatte Britta Vogt im Büro stehen gelassen und war sofort auf den Hof gerannt, als Belledin sie angerufen hatte. Erdogan war durch das Hoftor entschlüpft und zu seinem Auto gelaufen. Sie hatte ihn gesehen und verfolgt, aber Erdogan war konditionell im Vorteil. Ihr stach jede Zigarette auf der geteerten Lunge. Schon nach fünfundzwanzig Metern pumpte sie nach Luft.
»Verdammte Scheiße!«, schrie sie, als sie sah, wie Erdogan in seinen Wagen sprang und davonpreschte. Es dauerte beinahe eine Minute, ehe sie Kennzeichen und Automarke des Flüchtigen zur Fahndung durchgeben konnte. Einen Moment lang hatte sie sich überlegt, ob sie selbst die Verfolgung im Auto aufnehmen sollte. Aber Erdogan wäre längst über drei rote Ampeln gefegt, ehe sie auch nur ihren Wagen erreicht hätte.
Sie fluchte erneut über ihre beschissene Kondition und kramte nach einer Zigarette. »Jetzt erst recht«, sagte sie halblaut und schob sich das filterlose Kraut zwischen die Lippen.
Sie inhalierte tief und dachte nach. Konnte Erdogan der Täter sein?
Laut Britta Vogt war Ginter den ganzen Vormittag allein im Büro gewesen. Sie hatte im Vorzimmer gesessen, als er reinging, und niemanden herauskommen sehen. Und als sie dann hineingegangen war, war Ginter bereits tot gewesen. Die Fenster waren verschlossen. Der Mörder musste also im Büro auf Ginter gewartet haben. Aber wo war er gewesen, als Vogt ins Zimmer kam? Er musste sich versteckt haben, vielleicht hinter der Tür oder unter dem Schreibtisch; einen Einbauschrank gab es auch noch.
Er hatte gewartet, bis Vogt kreischend davongelaufen war, und den Tatort dann ungesehen verlassen. Ganz schön abgebrüht. Solche Nerven hatten eigentlich nur Profis. Erdogan war es bestimmt nicht gewesen, er hatte während der Zeit anderen ins Hirn geschossen. Und zwar legal.
Dass er schwache Nerven hatte, hatte sie schon tags zuvor bei der Streiterei mit Spiegelhalter erlebt. Der Kerl brächte so eine eiskalte Tat nicht fertig. Einen Mord vielleicht schon, das traute sie ihm zu, aber nicht die Chuzpe, die es brauchte, um Ginter im Büro aufzulauern und dann in aller Ruhe neben dem Toten zu warten, bis die Gelegenheit zur Flucht günstig war. Solche Nummern kannte sie nur von der russischen Mafia. Sie wusste, dass in Kehl mittlerweile viele Russen lebten, und es gab auch bereits einige Vorfälle, die auf die kriminelle Vereinigung deuteten, aber sie hatte nicht vermutet, dass im beschaulichen Breisgau ein größeres Fass in dieser Richtung geöffnet werden würde.
Sie hatte beim LKA ausreichend mit den Russen zu tun gehabt. Nicht zuletzt wegen ihnen hatte sie den Dienst dort quittiert und war hierhergekommen. Aber manche Dinge holten einen eben ein, man konnte vor ihnen nicht davonrennen.
Hätte sie sich nur dem Kampf gegen die Russen gestellt. Sie wäre jetzt wohl nicht mehr am Leben – dafür aber ohne den bitteren Geschmack der Einsamkeit.
Ob sie Belledin von ihrer Russenmafia-These erzählen sollte? Der würde hochgehen, weil die Sache damit eine Nummer zu groß für ihn wäre. Das LKA , vielleicht sogar das BKA würden ihm den Fall entziehen. Und was für Beweise hatte sie schon? Am Ende war es nur ihr eigenes Trauma, das ihr einen Mafiastreifen vorgaukelte.
Sie sah um sich und winkte Belledin zu, der über den Hof zu ihr herüberkam.
»Sieht übel aus«, sagte sie und deutete mit der Zigarette auf seine Stirn.
»Halb so wild. Da muss er schon mit dem Bolzenschießer kommen. Wo ist er hin?«
»Habe noch nichts gehört. Die Fahndung ist draußen.«
»Was weiß Britta Vogt noch?«
»Nichts. Sie hat keinen gesehen, der in Ginters Büro ging, und es kam auch keiner raus.«
»Ein Gespenst mit Bolzenschussgerät. Schön. Vielleicht ist es sogar noch drin?«
»Die Kollegen haben alles durchsucht. Da ist niemand mehr. Der Täter muss verschwunden sein, als Britta Vogt davongerannt ist.«
»Macht Sinn. Gefällt mir aber überhaupt nicht. Ist Spitznagel schon da?«
»Sie untersucht Ginters Büro bereits nach möglichen Spuren.«
»Gut. Noch was?«
»Britta Vogt ist schwanger.«
»Von Ginter?«
»Anzunehmen. Sie wollten Familie haben.«
»Sie oder er?«
»Wohl beide.«
»Und sie wollte den Schlachthof?«
»Glauben Sie nicht an Liebe?«
»Wo Tote rumliegen, fällt es mir schwer.«
»Man kann auch aus Liebe töten«, sagte Stark und dachte dabei an Schewtschenko.
»Was, wenn Ginter keine Familie mehr wollte? Schließlich hat er schon eine. Scheidung kostet. Und am Ende ist das Neue auch
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