Um Haaresbreite
Mr. Shaw. Ich habe eine Abschrift Ihres Lebenslaufs.
Sie haben viel Interessantes erlebt.«
»Vielleicht, aber Ihre Leistungen übertreffen die meinen bei weitem.« Shaw lächelte zum ersten Mal. »Ich habe nämlich auch eine Akte über Sie.«
Pitt schaute auf seine Uhr. »Ich muß auf die
Ocean Venturer
zurück. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen.«
»Ich bringe Sie zu Ihrem Boot. Es ist das mindeste, das ich für einen Mann tun kann, der mir das Leben gerettet hat.«
Zwei Männer standen draußen auf dem Deck Wache. Sie sahen wie riesige Eisbären aus. Der eine war völlig verdutzt, als er Shaw erblickte.
»Alles klar, Sir?«
Pitt nickte. »Alles klar. Sind wir abfahrtbereit?«
»Alle an Bord, bis auf uns.«
»Geht voraus. Ich komme.«
Die beiden Männer warfen Shaw einen letzten argwöhnischen Blick zu und kletterten dann in eine Barkasse, die neben dem Schleppdampfer angelegt hatte.
Pitt drehte sich noch einmal um. »Grüßen Sie General Simms von mir.«
Shaw konnte Pitt seine Hochachtung nicht verweigern. »Gibt es etwas, das Sie noch nicht wissen?«
»Eine ganze Menge.« Pitt grinste verschmitzt. »Zum Beispiel habe ich mir noch nie die Zeit genommen, Backgammon zu lernen.«
Mein Gott, sagte sich Shaw, dieser Mann ist wirklich erstaunlich. Aber er war zu sehr Profi, um nicht den eiskalten Scharfsinn zu erkennen, der sich hinter der freundlichen Wärme verbarg. »Es wäre mir ein Vergnügen, es Ihnen eines Tages beizubringen. Ich bin ziemlich gut in diesem Spiel.«
»Ich freue mich darauf.«
Pitt streckte ihm die Hand entgegen.
In all den Jahren seiner Spionagetätigkeit war es für Shaw das erste Mal, daß er einem Gegner die Hand schüttelte. Er blickte Pitt lange an. »Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen kein Glück wünsche, Mr. Pitt, aber Sie dürfen auf keinen Fall den Vertrag finden. Ihre Seite hat alles zu gewinnen. Meine hat alles zu verlieren. Das müssen Sie verstehen.«
»Wir wissen beide, wie das Spiel steht.«
»Ich würde es sehr bedauern, Sie töten zu müssen.«
»Das würde mir auch nicht gefallen.« Pitt kletterte über die Reling, hielt inne, winkte Shaw zu. »Hals- und Beinbruch.« Und dann war er verschwunden.
Shaw stand noch eine Weile und blickte dem kleinen Boot nach, bis es sich in der Dunkelheit verlor. Dann ging er müde zum Maschinenraum hinunter und befreite Dr. Coli und die Crew des Schleppdampfers.
Als er in seine Kajüte zurückkehrte, war Foss Gly nicht mehr da.
52
Fast tausend Menschen drängten sich vor der Residenz des Premierministers, klatschten Beifall, schwangen handbemalte Transparente und Schilder mit Begrüßungsworten auf Englisch und Französisch und beglückwünschten ihn zu seiner Entlassung aus dem Krankenhaus. Die Ärzte hatten ihn zu überreden versucht, einen Krankenwagen mit Bahre zu benutzen, aber er hatte sich hartnäckig ihrem Rat widersetzt und kam in der offiziellen Limousine, makellos in einen neuen Anzug gekleidet, die narbenbedeckten Hände in einem Paar übergroßer Glacehandschuhe verborgen.
Einer seiner Ratgeber hatte ihm vorgeschlagen, die Verbände öffentlich zur Schau zu stellen, um sich zusätzliche Sympathien zu gewinnen. Aber Sarveux wollte nichts davon wissen.
Billige politische Tricks waren nicht seine Art.
Die Schmerzen in seiner Hüfte waren unerträglich, und jedesmal, wenn er die Arme bewegen wollte, taten ihm die wunden Stellen so weh, daß er fast ohnmächtig wurde. Zu seinem Trost waren die Menschenmenge und die Reporter zu weit entfernt, um die Schweißtropfen auf seinem Gesicht zu sehen, als er mit zusammengepreßten Lippen lächelte und den jubelnden Menschen zuwinkte.
Der Wagen fuhr durch das Tor und hielt vor der Freitreppe an.
Danielle eilte die Stufen hinunter und riß den Schlag auf.
»Willkommen daheim, Charles…«
Die Worte blieben ihr in der Kehle stecken, als sie das bleiche und gequälte Gesicht sah. »Hilf mir hinein«, flüsterte er.
»Laß mich einen
Mounty
holen…«
»Nein«, schnitt er ihr das Wort ab. »Ich will nicht für einen Krüppel gehalten werden.«
Er rückte auf dem Sitz, stützte sich auf die Beine, beugte sich halb aus dem Wagen hinaus. Er brauchte einen Augenblick, um sich gegen den quälenden Schmerz zu wappnen, legte dann einen Arm auf Danielles Schulter und richtete sich langsam auf.
Sie brach fast unter seinem Gewicht zusammen und mußte alle Kräfte aufbieten, um ihn zu stützen. Es war ihr, als fühlte sie die Ausstrahlung seiner Schmerzen, während sie
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