Um Haaresbreite
Müdigkeit vom langen Flug aus Honolulu zeigte, wollte etwas sagen, hielt sich aber zurück.
»Die Damen zuerst«, sagte Al Giordino grinsend.
»Ich bin nicht qualifiziert, um eine Meinung über eine Unterwasserbergung zu äußern«, begann sie zögernd. »Aber ich glaube, daß das Schiff die bessere Chance bietet, ein lesbares Exemplar des Vertrags zu finden.«
»Möchten Sie uns Ihre Gründe darlegen?« fragte Sandecker.
»Vor der Zeit der Flugreisen«, erklärte Heidi, »war es üblich, die für Übersee bestimmten diplomatischen Dokumente in mehrere Schichten von Wachstuch zu packen und zu versiegeln, um sie vor Wasserschäden zu schützen. Ich erinnere mich an einen Fall, wo wichtige Papiere völlig intakt bei einem Kurier des Britischen Foreign Office gefunden wurden, dessen Leiche sechs Tage nach dem Untergang der
Lusitania
an Land geschwemmt wurde.«
Sandecker lächelte und nickte ihr befriedigt zu. Es gefiel ihm, sie in seiner Gruppe zu haben.
»Ich danke Ihnen, Kapitän. Sie haben uns wieder ein bißchen Hoffnung gegeben.«
Giordino gähnte. Er hatte die ganze Nacht mit Pitt über dem Projekt gebüffelt und konnte sich nur noch mit Mühe wachhalten. »Vielleicht hat Richard Essex sein Exemplar des Vertrages ebenfalls in Wachstuch eingewickelt.«
Heidi schüttelte den Kopf. »Er hat es bestimmt in einem ledernen Reisekoffer getragen.«
»Dort wird es wohl kaum überlebt haben«, bemerkte Sandecker.
»Ich stimme trotzdem für den Zug«, sagte Giordino. »Die
Empress
liegt etwa fünfzig Meter tief – also unterhalb der Sicherheitszone für freies Tauchen. Der Zug dagegen kann höchstens zwölf Meter tief sein. Und nach sieben Jahrzehnten ist das Schiff bestimmt vom Salzwasser des Golfes von St.
Lawrence zerfressen. Der Zug hat sich im Süßwasser besser erhalten.«
Sandecker wandte sich einem kleinen Mann zu, dessen eulenhafte Augen durch eine große Hornbrille starrten. »Rudi, wie sehen Sie es?«
Rudi Gunn, der NUMA-Direktor für militärische Einsätze, blickte von seinem bekritzelten Notizblock auf und kratzte sich die Nase. Gunn überließ nichts dem Zufall. Er vertraute nur harten Tatsachen, nie vagen Spekulationen.
»Ich ziehe das Schiff vor«, sagte er ruhig und gelassen. »Der einzige Vorteil des
Manhattan Limited
ist seine Lage auf amerikanischem Gebiet. Die Strömung des Hudson hat jedoch eine Geschwindigkeit von dreieinhalb Knoten. Viel zu stark, um ein wirksames Tauchen zu erlauben. Und, wie Al bemerkte, besteht dazu noch die Gefahr, daß die Lokomotive und die Wagen im Schlamm vergraben sind. Das müßte alles erst ausgebaggert werden, und davon verspreche ich mir nicht viel.«
»Die Bergung eines Schiffs im offenen Gewässer ist viel komplizierter und zeitraubender als das Heraufziehen eines Pullmanwagens aus seichtem Grund«, entgegnete Giordino.
»Mag sein«, gab Rudi Gunn zu. »Aber wir wissen, wo die
Empress of Ireland liegt,
und das Grab des
Manhattan Limited
ist nie gefunden worden.«
»Züge lösen sich nicht einfach in nichts auf. Wir haben es mit eine m begrenzten Gebiet von weniger als einer Quadratmeile zu tun. Mit einem Protomagnetometer sollten wir die Stelle in wenigen Stunden gefunden haben.«
»Sie reden, als ob die Lokomotive und die Wagen noch immer angekoppelt wären. Nach dem Sturz von der Brücke liegen sie wahrscheinlich überall in dem Flußbett verstreut. Wir könnten Wochen verschwenden und den falschen Wagen ausbuddeln. Da sind mir die Chancen zu gering. Die Sache ist zu unsicher.«
Giordino gab sich nicht geschlagen. »Und wie stehen Ihrer Meinung nach die Chancen, ein kleines Paket in einem Vierzehntausendtonnenschiff zu finden?«
»Wir kennen die Chancen nicht.« Dirk Pitt nahm zum ersten Mal das Wort. Er saß am Ende des Tischs, hatte die Hände hinter seinem Kopf verschränkt. »Ich schlage vor, wir versuchen es gleichzeitig an beiden Orten.«
Alle schwiegen. Giordino nippte an seinem Kaffee, dachte über Pitts Worte nach. Gunn bückte fragend durch seine dicken Brillengläser.
»Können wir uns die Komplikationen leisten, die ein solcher Doppeleinsatz mit sich bringt?«
»Fragen Sie lieber, ob wir uns die Zeit leisten können«, antwortete Pitt.
»Haben wir einen Termin?« erkundigte sich Giordino.
»Nein, wir sind an keinen Zeitplan gebunden«, sagte Sandecker. Er entfernte sich von den Karten und setzte sich auf eine Ecke des Tischs. »Aber der Präsident hat mir unmißverständlich erklärt, daß er ein Exemplar des Nordamerikanischen
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