Um Haaresbreite
»Das gesamte Gerüst unserer Überseehandelsorganisation würde einstürzen.
Unsere Wirtschaft ist schon jetzt in einer schlimmen Lage. Der Verlust Kanadas wäre eine Katastrophe.«
»Tatsächlich?«
»Es ist nicht auszudenken.« Der Premierminister starrte auf das Wasser, während er sprach.
»Wenn nämlich Kanada geht, würden Australien und Neuseeland in den nächsten drei Jahren folgen. Und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie es dann um das Vereinigte Königreich bestellt wäre.«
Die Ungeheuerlichkeit der Prophezeiung des Premierministers überstieg Simms Begriffsvermögen. England ohne sein Empire war unvorstellbar. Und doch wußte er, wenn auch mit Betrübnis, daß der britische Gleichmut sich schließlich auch daran gewöhnen würde.
Der Schwimmer hüpfte ein paarmal rasch, blieb dann wieder still. Der Premierminister nippte nachdenklich an seinem Sherry.
Er war ein klobiger, schwerfälliger Mann, dessen Augen nie blinzelten und dessen Mund sich zu einem ständigen Lächeln verzogen hatte.
»Unter welchen Instruktionen arbeiten Ihre Leute?« fragte er.
»Sie sollen die Tätigkeiten der Amerikaner nur beobachten und darüber berichten.«
»Sind sie sich der Drohung bewußt, die dieser Vertrag für uns darstellt?«
»Nein, Sir.«
»Dann sollten Sie es ihnen lieber sagen. Sie müssen sich der Gefahr für unser Land bewußt werden. Wie stehen die Dinge sonst?«
»Unter dem Deckmantel einer Expedition der
National Underwater and Marine Agency
hat der Präsident eine intensive Suchaktion auf der
Empress of Ireland
befohlen.«
»Diese Angelegenheit muß im Keim erstickt werden. Wir dürfen sie nicht auf die
Empress
lassen.«
Simms räusperte sich. »Und durch… durch welche Maßnahmen, Sir?«
»Es ist höchste Zeit, daß wir den Kanadiern sagen, was die Amerikaner im Schilde führen. Wir bieten ihnen unsere volle Mitarbeit im Rahmen des Commonwealth-Gesetzes an und fordern sie auf, der NUMA die Erlaubnis für irgendwelche Tätigkeiten auf dem St. Lawrence zu entziehen, und, falls der Präsident auf seinem Wahnsinnsunternehmen besteht, das Wrack zu sprengen und das britische Exemplar des Vertrages ein für allemal zu vernichten.«
»Und das amerikanische Exemplar, das mit dem Zug verschwunden ist? Wir können sie doch nicht gut von ihrem eigenen Fluß vertreiben.«
Der Premierminister warf Simms einen sauren Blick zu.
»Dann werden Sie sich etwas Drastischeres einfallen lassen, nicht wahr?«
VIERTER TEIL
DIE EMPRESS OF IRELAND
40
MAI 1989,
OTTAWA, KANADA
Villon schloß den Aktendeckel und schüttelte den Kopf.
»Quatsch.«
»Ich versichere Ihnen«, sagte Brian Shaw, »daß es kein Quatsch ist.«
»Und was soll das alles bedeuten?«
»Genau das, was Sie im Bericht gelesen haben.« Shaw blickte Villon in die Augen. »Die Amerikaner suchen einen Vertrag, mit dem sie beweisen können, daß Kanada ihnen gehört.«
»Bis jetzt habe ich noch nie von einem solchen Vertrag gehört.«
»Nur sehr wenige wissen davon.« Shaw zündete sich eine Zigarette an. »Unmittelbar nachdem die Dokumente verlorengegangen waren, hat man bis auf wenige Ausnahmen alle Hinweise auf die Verhandlungen heimlich beseitigt.«
»Und welche Beweise haben Sie, daß die Amerikaner wirklich dabei sind, sich dieses Vertrags zu bemächtigen?«
»Ich folgte einem Faden durch ein Labyrinth. Er führte mich zu einem Mann namens Dirk Pitt, der eine hohe Stellung in der
National Underwater and Marine Agency
einnimmt. Ich habe ihn durch das Gesandtschaftspersonal genau beobachten lassen.
Sie haben herausgefunden, daß er zwei Expeditionen leitet: Eine an der Stelle des Hudson, wo Essex mit dem Zug verunglückt ist, und die andere auf der
Empress of Ireland.
Ich kann Ihnen versichern, Mr. Villon, daß er nicht auf einer Schnitzeljagd ist.«
Villon saß einen Augenblick still. Dann lehnte er sich nach vorn. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Zunächst einmal könnten Sie Pitt und seine Mannschaft vom St. Lawrence verweisen.«
Villon schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Die Genehmigung für die Bergungsaktion wurde offiziell erteilt. Es ist nicht vorauszusehen, welche Maßnahmen die Amerikaner ergreifen würden, falls wir plötzlich die Genehmigung rückgängig machten. Sie könnten leicht zurückschlagen und uns die Fischereirechte in ihren Gewässern entziehen.«
»General Simms hat diese Möglichkeit berücksichtigt und ist für eine andere Lösung.« Shaw hielt einen Augenblick inne. »Er schlägt vor, daß
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