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Um Haaresbreite

Um Haaresbreite

Titel: Um Haaresbreite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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neunzehnhundertachtundsechzig geborgen.«
    Pitt wandte sich Hoker zu. »Komm um fünfzig Fuß hoch und dann am Steuerborddeck entlang.«
    Tief unter ihnen gehorchte das kleine U-Boot den Befehlsimpulsen, schwamm über die Heckreling, knapp am Fahnenmast vorbei, wo einst die Flagge des Heimathafens der
Empress
geweht hatte.
    »Der Achtermast ist runter«, sagte Pitt mit eintöniger Stimme.
    »Die Vertakelung scheint weg zu sein.«
    Dann kam das Schiffsdeck in Sicht. Einige der Schwenkkräne hingen leer, aber andere trugen immer noch die Rettungsboote in ihren Haken. Die Ventilatoren hoben sich gespenstisch ab, die Farbe war schon längst abgebröckelt; die beiden Schornsteine waren spurlos verschwunden, wahrscheinlich vor Jahrzehnten in den Schlamm versunken.
    Während einiger Minuten sprach niemand ein Wort. Es war ihnen, als blickten sie in die Vergangenheit zurück, sahen die entsetzten Menschen, die sich zu Hunderten auf den Decks drängten, Männer, Frauen und Kinder, die verzweifelt und hilflos auf dem untergehenden Schiff ertranken.
    Heidis Herz begann zu pochen. Die Szene hatte etwas Unheimliches. Der Seetang auf dem verrosteten Rumpf des Schiffes bewegte sich gespenstisch in der Strömung. Sie erschauerte unwillkürlich, und ihre Hände zitterten.
    Pitt brach das Schweigen. »Steuere sie hinein.«
    Hoker fuhr sich mit seinem Taschentuch über den Nacken.
    »Die beiden Oberdecks sind eingestürzt«, sagte er flüsternd.
    »Wir kommen nicht hinein.«
    Pitt breitete den Schiffsplan auf dem Kartentisch aus und zog einen Strich mit dem Finger.
    »Bringe sie aufs untere Promenadendeck. Der Eingang zum Salon der ersten Klasse sollte frei sein.«
    »Wird Baby tatsächlich in das Innere des Schiffs dringen?«
    fragte Heidi.
    »Dafür wurde es gebaut«, erwiderte Pitt.
    »All die toten Menschen da drinnen. Das ist doch fast wie Friedhofsschändung.«
    »Seit fünfzig Jahren sind Taucher auf der
Empress
gewesen«, tröstete Gunn sie. »Das Museum in Rimouski ist voller Gegenstände, die man aus dem Wrack geholt hat. Außerdem müssen wir unbedingt sehen, woran wir sind, bevor wir uns da durchschweißen.«
    »Ich habe eine Stelle gefunden«, unterbrach Hoker.
    »Sei vorsichtig«, ermahnte ihn Pitt. »Die Deckenbalken haben sich wahrscheinlich gelöst und versperren die Durchgänge.«
    Während der nächsten Sekunden waren nur im Wasser treibende Holzstücke auf dem Bildschirm zu sehen. Dann strahlte die RSV eine fächerförmige Treppe an. Das Geländer auf seinen brüchigen Stützen war noch zu erkennen. Die Perserteppiche, die einst den unteren Absatz geschmückt hatten, hatten sich längst im Nichts aufgelöst, wie auch die Sessel und Sofas.
    »Ich glaube, ich komme durch den hinteren Gang durch«, sagte Hoker.
    »Tue es«, befahl Pitt.
    Die RSV bahnte sich ihren Weg durch den am Boden liegenden Schutt, und die Kabinentüren huschten in einer gespenstischen Prozession an ihren Kameras vorüber. Zehn Meter weiter war der Gang frei, und sie drang in eine Kabine ein. Der Luxus, für den das unheilvolle Schiff einst berühmt gewesen war, hatte sich in klägliches Gerümpel verwandelt. Die großen Betten und die schmucken Schränke waren zerfressen und zerfallen. Die Reise in die Vergangenheit verlief mit quälender Langsamkeit. Die RSV brauchte fast zwei Stunden, um in die Salons auf der anderen Seite zu gelangen.
    »Wo sind wir jetzt?« fragte Gunn.
    Pitt blickte wieder auf den Schiffsplan. »Wir sollten kurz vor dem Eingang zum großen Speisesaal sein.«
    »Ja, da ist er.« Heidi zeigte auf den Bildschirm. »Die große Tür rechts.«
    Pitt blickte Gunn an. »Es lohnt sich, da hineinzuschauen. Nach dem Plan liegt Shields Kabine auf dem Deck direkt darunter.«
    Die Scheinwerfer der RSV beleuchteten einen riesigen Raum, warfen geisterhafte Schatten hinter die Säulen, die die Überreste der Stuckdecke über den Eßnischen stützten. Nur die ovalen Spiegel an den Wänden, deren Flächen von Schlamm bedeckt waren, zeugten noch stumm von der Pracht längst vergessener Tafelfreuden.
    Plötzlich bewegte sich etwas unter den Lichtstrahlen.
    »Was, zum Teufel, ist das?« rief Gunn aus.
    Wie gebannt starrten alle im Kontrollraum auf das wolkenförmige Etwas, das dem Blickfeld der Kameras zuschwebte.
    Einen langen Augenblick schien es reglos zu verweilen, die äußeren Ränder unscharf und flimmernd. Dann zeichnete sich eine menschliche Form ab, wie in ein milchiges Laken gehüllt, schwamm auf die RSV zu, eine unbestimmte,

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