Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
habe »in angenehmer Atmosphäre« stattgefunden, berichtete das Hessische Justizprüfungsamt, und Endres sei »als Gast« zugelassen worden. Gäfgen habe die Prüfung mit der Note »befriedigend« bestanden.
In seinem Buch Allein mit Gott – Der Weg zurück (Seite 122 ff.) schildert Gäfgen den Ablauf später etwas anders. Er meint, dass die Prüfungskommission die Situation in Frankfurt aufgrund des öffentlichen Interesses als untragbar einschätzte und daher lieber ins Gefängnis zu Gäfgen reiste. Gäfgen erzählt auch eingehend vom Ablauf der Prüfung. Sie begann mit seinem Wahlfach, ausgerechnet Kriminologie, also der Lehre vom Verbrechen. Mit ungläubigem Staunen erfährt der Leser: »Da ich gut darauf vorbereitet war und in diesem Fach prinzipiell meine Stärken hatte, fiel mir die Prüfung recht leicht, und ich schnitt gut dabei ab.«
Immerhin, der sich anschließende strafrechtliche Teil der Prüfung ersparte Gäfgen Fragen zu Delikten wie Mord oder Entführung, er konnte sich auf Themen wie Untreue, Diebstahl und Hehlerei konzentrieren. »Unangenehmer wurde es dann im Zivilrecht«, teilt er mit, offenbar gehörten komplexe Sachverhalte des Bereicherungs- und Deliktsrechts nicht zu seinen bevorzugten Studiengebieten.
Gäfgen bestand die Prüfung. »Ein ganz klein wenig stolz auf mich selbst«, sei er gewesen, fasst er zusammen. »Das Resultat dieser sicher einmaligen Examensprüfung war mein Bestehen mit einem mittleren Befriedigend mit 7,33 Punkten. Ich freute mich sehr darüber. Irgendwie fühlte ich es auch als eine gnädige Fügung des Schicksals, dass sich mein doch stets gründlich betriebenes Studium und meine … Examensvorbereitung selbst unter den nun eingetretenen Bedingungen ausgezahlt haben.«
Für die Leser, die es nicht glauben wollen, ist das Examenszeugnis als Kopie im Gäfgen-Buch enthalten, ebenso wie ein Seminarzeugnis, das darüber Auskunft gibt, dass Gäfgen im Rahmen eines Seminars zum Strafvollzugsrecht einen Vortrag gehalten hat mit dem Thema »Die lebenslange Freiheitsstrafe im Spiegel des Bundesverfassungsgerichts«.
Immerhin, die Zulassung zum Juristischen Vorbereitungsdienst, also zum sogenannten Rechtsreferendariat, wo die Absolventen des Ersten Staatsexamens Ausbildungsstationen als Richter, Staatsanwalt, Verwaltungsbeamter oder Rechtsanwalt durchlaufen und die nachfolgende Zweite Juristische Staatsprüfung, welche die Befähigung zum Richteramt verleiht, blieben Gäfgen verwehrt. Darüber ist er aber nicht traurig: »Ich will all dasjenige an materiellrechtlichem und prozessualem Fachwissen, das mir durch das fehlende Referendariat entgeht, im Selbststudium nachholen. Dies betreibe ich intensiver und bedingungsloser als viele Kollegen und Bekannte, die mir schon früher von ihrem unproduktiven Referendariat berichtet und die gerichtliche Ausbildung als insgesamt wenig ertragreiche Zeit empfunden haben.« Als wäre das noch nicht genug an studentischem Eifer, setzte er auch noch seine wirtschaftswissenschaftlichen Studien fort, wo er nach eigenen Angaben auch »alle der stets unter strenger Aufsicht zu verfassenden Klausuren mit gutem Erfolg bestanden« habe.
Eine Sonderprüfung für einen Kapitalverbrecher. Allzu groß konnte Gäfgens »Angst« vor mir und meiner Androhung nicht gewesen sein. Er hatte es geschafft, fünf Monate lang in seiner Zelle konzentriert Zivilrecht, Strafrecht und öffentliches Recht zu pauken. Später wird er behaupten, er sei durch meine Befragung traumatisiert worden, wird Schmerzensgeld fordern sowie die Kostenübernahme für eine Therapie.
Als ich in der Zeitung las, dass Gäfgen seine mündliche Prüfung zum Ersten Staatsexamen in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt erfolgreich absolviert hatte, war ich fassungslos.
Die Taktik des Mörders Gäfgen und seines Verteidigers wurde schnell klar:
Der wirkliche Verbrecher wurde als »Folteropfer« dargestellt, als der »nette Junge von nebenan« präsentiert.
Vizepräsident Daschner und ich wurden als die wahren Verbrecher an den Pranger gestellt. Alles natürlich schon vor Beginn des Prozesses wegen Mordes gegen Gäfgen.
Roland Mitschke schrieb dazu am 20. Februar 2003 in der Welt :
»Termingerecht zur Anklageerhebung hatte am Dienstag (18.2.) der Anwalt des mutmaßlichen Mörders vor Medienvertretern im Anwaltstrakt des Gerichtsgebäudes B ›eine Bombe hochgehen‹ lassen: Hans Ulrich Endres nennt den Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, einen ›Verbrecher‹,
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