Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
war,
– das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das bei dem Opfer ebenfalls bereits seit Tagen und in zunehmender Intensität verletzt war und das beim Täter allenfalls kurzfristig und partiell beeinträchtigt worden wäre.
Unter Berücksichtigung dieser Rechts- und Verfassungslage sowie aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles war dem Recht des entführten Kindes Jakob von Metzler auf Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit und Schutz seiner Menschenwürde der eindeutige Vorrang einzuräumen vor dem Recht des Täters auf körperliche Unversehrtheit und Achtung seiner Menschenwürde. Die Entscheidung, zur Abwehr einer akuten Lebensgefahr als absolut letzte Möglichkeit die Anwendung unmittelbaren Zwanges anzukündigen, konnte daher bei objektiver Bewertung nicht »verwerflich« im Sinne des § 240 StGB sein.
Von der Lüge zur Wahrheit
Gäfgen hatte in zwei Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft und bei seiner Aussage als Zeuge in der Hauptverhandlung vieles wahrheitswidrig behauptet.
Ich habe nie gesagt, dass er jetzt – während ich mit ihm sprach – die letzte Chance zum Reden habe; stattdessen hatte ich ihm gegenüber ausdrücklich geäußert, dass ich ihm nichts tun würde.
Die Aussage Gäfgens war schon deshalb widersinnig, weil ihm hätte völlig klar sein müssen, dass er selbst ja jederzeit jede beabsichtigte oder auch schon eingeleitete Maßnahme hätte beenden können, indem er den Aufenthaltsort des Kindes nannte. Er hätte seelenruhig abwarten können, was passierte. Aussagemöglichkeiten hätten ihm auch zu späterer Zeit zur Verfügung gestanden. Seine Preisgabe des Verwahrortes des entführten Kindes war einzig und allein das Ergebnis meiner ständig gleichen Fragen und meines Appells an einen hoffentlich noch vorhandenen letzten Rest von Gewissen.
Es waren die Hartnäckigkeit meiner Fragen, die Intensität der Bilder, die ich erzeugen wollte, das Abtun von Ausflüchten, die Gäfgen auf die Nerven gingen, die ihn zermürbten. Gäfgen teilte den Aufenthaltsort mit, weil er endlich seine Ruhe haben wollte.
Doch das Gericht glaubte dem Kindesmörder, der schon vor langer Zeit eine – von ihm als seine »Maske« bezeichnete – Lügengeschichte aufgebaut hatte, um vor seinen Freunden besser dazustehen und die von ihm vorgespiegelte finanzielle Potenz plausibel zu machen; der sich als erfolgreicher Junganwalt mit Aussicht auf eine glänzende Karriere ausgegeben hatte; der behauptet hatte, er würde von seinem Vater für den erfolgreichen Abschluss seines Jurastudiums eine Million Euro erhalten; der mit hohen Einkünften aus seiner Tätigkeit in einer renommierten Anwaltskanzlei prahlte, die überhaupt nicht existierte; der in zahlreichen Vernehmungen nach seiner Festnahme gelogen und aus Rache unschuldige Personen schwerster Verbrechen beschuldigt hatte; der auch in der Hauptverhandlung auf Vorhalt einräumen musste, in einer Vielzahl von Fällen vorsätzlich die Unwahrheit gesagt zu haben.
Das Gericht berücksichtigte auch nicht Gäfgens Angaben gegenüber dem psychiatrischen Gutachter Prof. Dr. Leygraf: Man habe ihn aber nicht in Ruhe gelassen, sondern ihn stattdessen immer wieder mit der Frage bedrängt: »Wo ist die Hütte, wo ist die Hütte?« Er habe dann von dem anderen See erzählt, weil er Zeit und Ruhe hätte haben wollen. Er habe gewusst, dass er, wenn er die ganze Wahrheit sagen wolle, dafür Zeit brauche. Er habe die gesamte Geschichte erzählen wollen, dies sei aber an dem Abend nicht mehr gegangen. »Ich hätte nur gesagt, wo der tote Junge ist, und die hätten sich keine Mühe mehr gemacht, mich und meine Beweggründe zu verstehen.«
Er habe gewusst, Ruhe bekomme er nur, wenn er zum einen die Namen von Mittätern und zum anderen den Aufenthaltsort des Jakob nenne. Am anderen Morgen habe er dann gesagt, man brauche nicht mehr weiter zu suchen. Er habe den Beamten dann den Ort gezeigt, wo der Junge gelegen habe.
Diese Darstellung korrespondiert mit den Aussagen Gäfgens in zahlreichen Vernehmungen durch Staatsanwälte und Kriminalbeamte sowie in Gesprächen mit seiner Mutter und seinen Anwälten. Mit keinem Wort hatte er erwähnt, dass er von mir auch nur im Geringsten bedroht worden sei.
Erst nachdem er von dem Vermerk des Polizeivizepräsidenten Kenntnis erlangt hatte, gab er sich als »Folteropfer« aus und erfand die übelsten Schauermärchen.
Das Gericht sah keinen Anlass, die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen durch das Gutachten eines Sachverständigen
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