Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
sei die Androhung von Schmerzzufügung nach Art und Maß nicht das mildeste Gegenmittel gewesen, »da mit dem Stufenkonzept noch andere Maßnahmen zur Verfügung standen«.
Das Gericht verkannte, dass bereits die Freiheitsberaubung durch die Entführung und die damit verbundene massive Verletzung der Menschenwürde – auch ohne konkrete Lebensgefahr – jedem Bürger das Recht und die Pflicht zur Nothilfe eingeräumt und alle Maßnahmen erlaubt hätte, die »eine sofortige und endgültige Beseitigung dieser Verletzung mit Sicherheit« hätten erwarten lassen. Dass für das reichlich naive »Stufenkonzept« nicht der geringste zeitliche Rahmen mehr zur Verfügung stand, habe ich bereits zuvor ausführlich dargelegt.
Soweit die Strafkammer in Zweifel gezogen hat, dass die Notwehr- und Nothilferechte als strafrechtliche Rechtfertigungsgründe auch Polizeibeamten zur Verfügung stehen, ist auf Folgendes hinzuweisen:
In seinem Beschluss vom 13. Oktober 1972 (JZ 1973, 128 f.) hat der Bundesgerichtshof in einem Obiter Dictum (Rechtsansicht) klargestellt, dass Nothilfe und hoheitliche Gefahrenabwehr uneingeschränkt nebeneinander bestehen. Das Bayerische Oberste Landesgericht ergänzte, dass ein Polizeibeamter kein Bürger minderen Rechts sei; was jedem Privaten nach § 32 StGB erlaubt sei, könne dem Polizeibeamten nicht verwehrt sein (Beschl. v. 13.12.1990, JZ 1991, 936 ff.). Deshalb steht einem Polizeibeamten bei der Ausübung seines Dienstes jedenfalls im Falle eines rechtswidrigen Angriffs auf ihn oder einen Dritten das Notwehr- und Nothilferecht uneingeschränkt zur Verfügung.
Auch der Gesetzgeber hat die Dualität zwischen polizeirechtlichen Maßnahmen und privaten Notwehrrechten erkannt und akzeptiert. Im Oktober 2003 forderte beispielsweise die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, der »finale Rettungsschuss« solle im Polizeigesetz erlaubt werden, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr sei. Begründet wurde dies damit, »die Polizeibeamten bräuchten Rechtssicherheit in einer der schwierigsten Situationen, in die sie geraten können«. Eine starke Minderheit hielt allerdings »die bisherige Regelung, bei der sich Polizisten nach einem gezielten Todesschuss etwa in Zusammenhang mit Entführungen auf allgemeine Nothilfeparagrafen berufen können«, für ausreichend ( Frankfurter Rundschau , 27.10.2003).
Selbst bei den Frankfurter Justizbehörden scheint diese Rechtslage – außer im Entführungsfall Jakob von Metzler – unstrittig gewesen zu sein. So sprachen sie einen Kriminalbeamten frei, der 2004 in Notwehr zwei Männer erschossen hatte.
War kein rechtfertigender Notstand gegeben?
Nach Auffassung der 27. Großen Strafkammer war auch der Rechtfertigungsgrund des § 34 StGB nicht anzuwenden, weil die Ankündigung unmittelbaren Zwanges kein »angemessenes Mittel« im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei, »denn sie verstieß gegen Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes«.
Die Richter verstießen selbst gegen dieses Grundrecht, weil sie dem entführten Kind Jakob von Metzler den »Schutz« seiner Menschenwürde verweigerten.
Sie verkannten ferner, dass sich die Pflicht zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde an »alle staatliche Gewalt« richtet, nicht aber an den privatrechtlich handelnden Bürger, der von seinen Rechten und Pflichten der Notwehr Gebrauch macht oder in einem (rechtfertigenden oder entschuldigenden) Notstand handelt.
Nach § 34 StGB handelt nicht rechtswidrig, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden. Voraussetzung ist, dass »bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt«, und dass die Tat ein »angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden«.
Mit anderen Worten: Man darf nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen!
Bei der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Jahr 1975 wurde die Freilassung der RAF-Häftlinge Rolf Pohle, Ingrid Siepmann u. a. mit dem rechtfertigenden Notstand des § 34 StGB begründet. Die Freilassung erfüllte den Tatbestand der vorsätzlichen Gefangenenbefreiung nach § 120 StGB, der in seiner qualifizierten Form mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht ist.
Es sei mit höchster
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