Um Leben Und Tod
»Komplizen« des Verbrechers? â Ein unvorstellbarer Gedanke!
Ist Notwehr kein Rechtfertigungsgrund?
Wenn der Staat seine Bürger verpflichtet, sich selbst gegen rechtswidrige Angriffe zu schützen und anderen Personen dabei Hilfe zu leisten, dann folgt daraus zwangsläufig, dass er sie wegen der dabei erforderlichen Rechtseingriffe gegen den Angreifer straflos stellen muss. Nach § 32 Abs. 1 StGB handelt daher nicht rechtswidrig, »wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist«.
Und als Notwehr gilt »die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden« (§ 32 Abs. 2 StGB). Artikel 2 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention lässt sogar die Tötung des Angreifers zu, wenn sie »unbedingt erforderlich ist, um jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen«.
Dass im Rahmen dieser zulässigen Notwehr für den Vorwurf von »Folter« kein Raum sein kann, dürfte wohl unbestritten sein.
»Die in Notwehr begangene Tat ist rechtmäÃig, weil sie sich gegen Unrecht wendet. Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen. Die Notwehr dient deshalb nicht nur dem Schutz des Angegriffenen, sondern zugleich der Bewahrung der Rechtsordnung.« (Bockelmann, Notrechtsbefugnisse der Polizei , Dreher-Festschrift, S. 235 ff.)
Wer in Notwehr handelt und sich oder eine andere Person gegen einen rechtswidrigen Angriff verteidigt, schützt deshalb zugleich das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Unrecht. Er ist an der Aufrechthaltung der Rechtsordnung beteiligt.
Dieser »Verteidiger« tut also etwas, was zu tun eigentlich die Sache der Polizeibeamten wäre, er übernimmt die Rolle des Polizisten.
Und ich als Polizist soll einen Angegriffenen nicht verteidigen dürfen?
Die 27. GroÃe Strafkammer stellte fest: »Es sind keine Rechtfertigungsgründe gegeben.« § 32 StGB setze objektiv eine Notwehrlage zur Tatzeit voraus. »Diese lag nicht vor, da das Kind bereits tot war.« AuÃerdem sei die Androhung von Schmerzzufügung nach Art und Maà nicht das mildeste Gegenmittel gewesen, »da mit dem Stufenkonzept noch andere MaÃnahmen zur Verfügung standen«.
Das Gericht verkannte, dass bereits die Freiheitsberaubung durch die Entführung und die damit verbundene massive Verletzung der Menschenwürde â auch ohne konkrete Lebensgefahr â jedem Bürger das Recht und die Pflicht zur Nothilfe eingeräumt und alle MaÃnahmen erlaubt hätte, die »eine sofortige und endgültige Beseitigung dieser Verletzung mit Sicherheit« hätten erwarten lassen. Dass für das reichlich naive »Stufenkonzept« nicht der geringste zeitliche Rahmen mehr zur Verfügung stand, habe ich bereits zuvor ausführlich dargelegt.
Soweit die Strafkammer in Zweifel gezogen hat, dass die Notwehr- und Nothilferechte als strafrechtliche Rechtfertigungsgründe auch Polizeibeamten zur Verfügung stehen, ist auf Folgendes hinzuweisen:
In seinem Beschluss vom 13. Oktober 1972 (JZ 1973, 128 f.) hat der Bundesgerichtshof in einem Obiter Dictum (Rechtsansicht) klargestellt, dass Nothilfe und hoheitliche Gefahrenabwehr uneingeschränkt nebeneinander bestehen. Das Bayerische Oberste Landesgericht ergänzte, dass ein Polizeibeamter kein Bürger minderen Rechts sei; was jedem Privaten nach § 32 StGB erlaubt sei, könne dem Polizeibeamten nicht verwehrt sein (Beschl. v. 13.12.1990, JZ 1991, 936 ff.). Deshalb steht einem Polizeibeamten bei der Ausübung seines Dienstes jedenfalls im Falle eines rechtswidrigen Angriffs auf ihn oder einen Dritten das Notwehr- und Nothilferecht uneingeschränkt zur Verfügung.
Auch der Gesetzgeber hat die Dualität zwischen polizeirechtlichen MaÃnahmen und privaten Notwehrrechten erkannt und akzeptiert. Im Oktober 2003 forderte beispielsweise die SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, der »finale Rettungsschuss« solle im Polizeigesetz erlaubt werden, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr sei. Begründet wurde dies damit, »die Polizeibeamten bräuchten Rechtssicherheit in einer der schwierigsten Situationen, in die sie geraten können«. Eine starke Minderheit hielt allerdings »die bisherige Regelung, bei der sich Polizisten nach einem gezielten Todesschuss etwa in Zusammenhang mit Entführungen auf allgemeine Nothilfeparagrafen berufen
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