Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
verschlossen, wortkarg, mürrisch, auch unduldsam. Wenn ihn etwas störte, wurde er grob, saugrob. Es war nicht gut Kirschen essen mit ihm, wie man so sagt. Äußerlich signalisierte er das dadurch, daß er nicht nur eine schwarze Lederjacke, sondern sogar einen schwarzen Lederschlips trug.
Die Freundschaft dieses Mannes oder auch nur sein Wohlwollen hatte nichts Komfortables an sich. Man war an seiner Brust nicht weich gebettet. Was hatte er an mir? frage ich mich. Wir waren uns einiger Parallelen bewußt. Der frühe Tod des Vaters und das Norddeutsche. Einmal fanden wir heraus, daß wir uns 1943 in Anklam möglicherweise begegnet sind. Er sei damals ein kleiner dicker Junge gewesen, mit runder Brille, sagte er, und ich trug kurze Hosen mit Bügelfalte.
Eine andere Parallele, die in die Augen fällt: Er schrieb an den »Jahrestagen«, der Geschichte der Mecklenburgerin Gesine Cresspahl, und ich an der Chronik, die ich nach und nach vollendete. Manchmal hatte ich den Eindruck, daß er mich durch nächtliche Telefonate irgendwie unter Kontrolle halten wollte; vielleicht wollte er sich vergewissern, daß ich ihm mit meinem norddeutschen Kolossalgemälde nicht in die Quere käme. 21
Irgendwann habe ich ihn auch mal besucht, in Berlin, in der Niedstraße, nicht weit von Günter Grass, mit dem er damals, glaube ich, verfeindet war. Seine ungezogene Tochter bewarf mich mit kleinen Steinen. Sie besaß übrigens schon als Zehnjährige eine Bibliothek von Zeitgenossen. Sämtliche Exemplare waren handschriftlich mit zum Teil recht liebedienerischen, fast schleimigen Widmungen versehen. Die betreffenden Autoren meinten wohl, das würde sich auf die Stimmung ihres strengen Vaters gut auswirken.
Es gab an diesem Tag Bratkartoffeln mit Sülze zu essen, von seiner stillen Frau aufgetischt, und abends saßen wir in seiner Wohnstube unter einer Bahnhofsuhr: an der Wand sämtliche Meßtischblätter von Großberlin, sorgfältig aneinandergeklebt. Ich trank ein kleines Helles und er,
glaube ich, zehn oder zwölf, dazu nahm er diverse Schnäpse und trank, wenn ich mich nicht sehr täusche, noch eine Flasche Wein dazu. Ich war ihm kein guter Gesprächspartner und ein Kumpan schon gar nicht. Ich saß still und stumm vor ihm: »Bloß kein falsches Wort sagen!« dachte ich, sonst haut er dir noch einen an den Ballon. Er war im übrigen sehr aufgekratzt. Er machte mir vor, wie mich das Ehrengericht der mecklenburgischen Landsmannschaften verhören und zur Rechenschaft ziehen würde wegen der Despektierlichkeiten, die ich über unsere Heimat losgelassen hätte.
Am nächsten Tag kam er um fünf Uhr aus dem Büro – Uwe Johnson hatte in Berlin ein Büro mit Soennecken-Rollschränken und elektrischer Schreibmaschine, in dem er jeden Tag acht Stunden arbeitete – und bat mich, das von ihm an diesem Tag Geschriebene vorzulesen. Ich tat’s, und das war eine ziemliche Angstpartie. Kein Gedanke daran, daß ich ihm etwa Änderungen vorgeschlagen hätte, es galt nur, gut über die Runden zu kommen. Als ich es hinter mich gebracht hatte, bedankte er sich bei mir mit Handschlag und meinte, ich hätte ihm sehr geholfen.
Als Uwe Johnson auf seiner Insel saß, Sheerness on Sea in der Themse, es war recht still um ihn geworden, regte ich einen bekannten Journalisten an, ihn zu besuchen, mit Fernsehkameras und so weiter. Und der sagte, nein, Johnson hat mir mal ein Interview abgelehnt. Weil zu dieser Zeit überhaupt nur wenige Literaturmenschen Kenntnis
nahmen von ihm, faßte ich den Entschluß, ihn zu besuchen. Ich stellte mir vor, wie er da so mutterseelenallein in seiner kleinen Wohnung sitzt und ein Bier nach dem andern trinkt, diverse Schnäpse und womöglich noch Wein dazu, und draußen heult der Wind, Regen, Sturm und so weiter, und ich dann an seinem Tisch mit meinem kleinen Hellen?
Leider habe ich es nicht getan, ich bin nicht zu ihm gefahren. Ich ließ die Stunde vorübergehen. Und dann war es eines Tages zu spät. Es war vorbei.
James Joyce
Es ist schon etwas länger her, daß ich den »Ulysses« gelesen habe. Das ist kein Buch, das man so nachmittags beim Tee zur Hand nimmt. Aber wie magisch hole ich immer wieder die Joyce-Biographie heraus, in der sich Fotos von damals finden, von seiner Familie, von seiner für mich reizvoll aussehenden Tochter, trotz des starken Silberblicks, die dann so furchtbar endet, oder das Bild, auf dem Joyce seinen Stock wie eine Flöte hält, auch seinen schönen Siegelring sieht man darauf.
An Joyce hat
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