Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
gelesen, weil die antiquarischen Ausgaben alle in Fraktur gedruckt sind. Vielleicht ist ja auch sein treuherziger Vorname daran schuld, daß er in Verruf geraten ist. Ein Dichter wie Keller hat es auch deshalb schwer, sich zu behaupten, weil er komisch ist: Der weite Mantel Don Correas 24 , dessen Löcher wie die Sterne am Firmament scheinen, oder das Liebespaar, das küssend auf dem Sofa sitzt und plötzlich ins Gähnen verfällt?
Die kleine, enge Schweiz und das kleinwüchsige, vielleicht altmodische Doppeltalent: Von seinen Bildern will
einem so recht nichts aus der Erinnerung beikommen. Anders als bei den Zeichnungen Goethes, von denen doch etliches im Bewußtsein ist. Zarte Landschaften gibt es von Keller, aber auch boshafte Kritzeleien am Rand der Manuskripte. Im Alter von fünfzehn Jahren, als er eben von der Schule gewiesen worden war und sich in einem Ferienort »erholte«, während seine Mutter von einem Ratgeber zum andern lief und die Hände rang, hatte er sich für die Kunst und gegen die Schriftstellerei entschieden, weil sie ihm bunter und lustiger vorkam, aber auch, weil »Kunstmaler« als Beruf einigermaßen bürgerlich akzeptiert war, Dichter hingegen kaum.
In seinem Roman »Der grüne Heinrich« hat er diese autobiographischen Ereignisse literarisch gestaltet: der frühe Tod des Vaters, die Sorgen der Mutter, die ihn lange unterstützen mußte, die mißglückten Versuche, sich in München als Künstler zu etablieren, und die Rückkehr in die Schweiz bis hin zur Übernahme eines öffentlichen Amtes.
Es waren die liberalen deutschen Schriftsteller des sogenannten Vormärz gewesen, Follen, Herwegh, Freiligrath, die als Emigranten das geistige Klima Zürichs in den 1840er Jahren prägten und Keller förderten, der aus Anteilnahme an innenpolitischen Auseinandersetzungen seiner Heimat begonnen hatte, Gedichte zu schreiben.
Nachdem er längst zu Ruhm gekommen war, wählte man ihn 1861 zum Ersten Staatsschreiber des Kantons Zürich. Fünfzehn Jahre lang bewährte er sich als pflichteifriger
Beamter. Die hohe, gutdotierte Position gestattete es ihm, Schulden abzutragen und das schlechte Gewissen der Mutter gegenüber zu erleichtern. Auch gab es jetzt abends besseren Wein. Allerdings: Beamter, regelmäßige Wirtshausfrequentierungen, die Fahnenstange spiralisch bemalen und dazu nur 1,20 m groß? 25 So einer bleibt unbeweibt. Mutter und Schwester führten ihm den Haushalt, während er mit Richard Wagner oder Gottfried Semper verkehrte und mit Theodor Storm und Paul Heyse Briefe wechselte.
Bewunderungswürdig scheint mir sein beharrlicher Drang, alles gut zu machen, so die uns heute seltsam anmutende Idee, einen bereits eingeführten Roman, »Der grüne Heinrich«, nach zwanzig Jahren noch einmal zu schreiben, weil die erste Fassung nicht gelungen zu sein schien. Storm zitterte bei dem Gedanken, »daß das umgegossen werden soll«, und schickte ihm einige Vorschläge. Keller revanchierte sich mit Einwänden gegen dessen Novelle »Carsten Curator«.
Wer noch nichts von Keller gelesen hat, sollte es so halten, wie er es selbst in dem Gedicht »Du milchjunger Knabe« geschildert hat:
Ein leeres Schneckhäusel,
Schau, liegt dort im Gras;
Da halte dein Ohr dran,
Drin brümmelt dir was!
Heinz G. Konsalik
Heinz Günther war der erfolgreichste Schriftsteller unserer Zeit. Er nannte sich nach dem bulgarischen Geburtsnamen seiner Mutter »Konsalik«: Er hatte ein lustiges rotes Gesicht, kurze Beine und sprach rheinisch. Angeblich war er der letzte Nachfahre des sächsischen Adelsgeschlechts der Freiherren von Günther Rittern zu Augustusburg.
Als ich mit ihm in der Lobby des Hotels Frankfurter Hof zusammensaß, überlegte ich unausgesetzt: Mehr als achtzig Millionen Gesamtauflage … da möchte man wie der Wildschütz ausrufen: »zehntausend Thaler, Götter, was mach ich.« Aber es wurde sofort klar, daß dieser Mann trotz seines enormen Erfolges im Literatenhimmel unter starken Minderwertigkeitsgefühlen litt. In der letzten Zeit wollte man ihm Nazisachen anhängen.
»Ich habe Auflagen, von denen Grass und Böll nur träumen können«, hat er mal gesagt, und daß er stolz darauf sei, als »Volksschriftsteller« eingestuft zu werden. Im Gegensatz zu Simmel hat er es nicht geschafft, seine Unterhaltungsware
ins Diskutierbare zu heben. Irgendetwas ist in seinen Büchern, das es der Germanistik verwehrt, ihn für die seriöse Literatur aufzubereiten. Dissertationen wird es nicht geben, aber das kann sich
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