Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
Sohn, der durch die Bekanntschaft mit Klabund und Kurt Schwitters um 1920 dem Literaturbetrieb nahegekommen war, zum Druck der Aufzeichnungen im Selbstverlag angetrieben. Ich glaube nicht, daß es in der deutschen Literatur eine ähnlich intensive Schilderung des Kriegsmassenmordens gibt, auch wenn ich durch dieses Geständnis so manchen Leser an mir irrewerden sehe. »Ich bin kein Kriegsberichterstatter, ich lege keine Heldenkollektion vor«, schrieb Jünger im Vorwort, »ich will nicht beschreiben, wie es hätte sein können, sondern wie es war.« Die wohl so »kriegsverliebte« Haltung, die hier und da durchscheint, ist das eine, die abschreckende Wirkung einer Trommelfeuerschilderung auf den Leser das andere. Ich bin nicht der Meinung, daß ein junger Mensch sich durch diese Darstellung angetrieben fühlen könnte, zu den Fahnen
zu eilen. André Gide hat es denn auch das schönste Kriegsbuch genannt, das er kenne, »vollständig gutgläubig, wahrheitsgemäß und ehrlich«.
Ich will hier nicht über die verschiedenen Gattungen des Tagebuchs schreiben, über frisierte und unfrisierte. Tatsache ist es – hier muß man sie beide in einem Satz nennen – , daß Thomas Mann und Ernst Jünger die einzigen deutschen Autoren sind, die konsequent ein halbes Jahrhundert und mehr Buchführung überliefert haben. Eine reizvolle Nachmittagsbeschäftigung wäre es, beide Tagebücher ineinanderzuschieben, obwohl man weiß, daß Thomas von der Trave Jünger nicht mochte. Der Hauptmann aus Kirchhorst – hat er überhaupt Menschen nicht gemocht? –, wenn ihm was widerfuhr, speiende Ablehnung zum Beispiel, dann trat er »neben« sich, setzte sich in seine Laube und rauchte eine Zigarette.
Franz Kafka
Wer kann sich Franz K. vorstellen im Harz 23 , in einem Naturheilsanatorium, an der Tür seines Bretterhauses stehend und Nackte beobachtend, die still vor seiner Tür liegen? Weil er sich als einziger nicht entblößte, wurde er »der Mann mit den Schwimmhosen« genannt. Über die Leidenschaft der Gesundheitsdamen, sich ausschließlich von Körnern zu nähren, hat er sich damals auch schon aufgeregt. Wir sehen ihn freundlich in die Sonne blinzelnd seine ekstatischen Nachtgeschichten schreiben.
Kafka, Sproß einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie, entstammte dem Kulturschmelztiegel des k. u. k. Vielvölkerstaats, dem Prag der Jahrhundertwende, wie auch Franz Werfel und Rainer Maria Rilke. Der Flaneur, der durch Leipzigs Straßen ging, mit einem Spazierstöckchen, und von einem Freund zum Besuch eines Lupanars verführt wurde, dann in Berlin auf dem Balkon schon nahe der großen Pforte?
Wir verzichten hier darauf, auf die Tätigkeit des Unfallverhüters im Solde einer Versicherung näher einzugehen. Daß er den Dr. iur. hatte und daß er sich dreimal ver- und entlobte, ist allgemein bekannt.
Es ist angebracht, darauf hinzuweisen, daß Max Brod sich der von Kafka gewünschten Vernichtung seiner Nachlaßmanuskripte widersetzte. Auch wenn sich jener später an dem geretteten Kulturgut, das in den letzten Jahrzehnten etliche tausend Interpretationen provozierte, vergriff.
Ja, die vernichteten Manuskripte, von eigener Hand oder durch äußere Umstände, eine Bibliothek könnte man mit ihnen füllen: Enzensbergers »Titanic«-Text, erste Fassung, größere Teile von Benjamins Passagenwerk, Nossacks Tagebücher, die Briefe des jungen Goethe und Ludwig Tiecks.
Das letzte Foto: Wie ein Nachtmahr sieht er aus, der Tuberkulosekranke, pfauenartig mit glühenden Augen und gespitzten Ohren, von Karikaturisten gern zitiert, eine seltene Physiognomie, so sehr dem entsprechend, was er hervorbrachte. An Kafka, dem Einzelgänger, dem weltweite Wirkung beschieden war, kann man die Individualität von Schriftstellern beweisen, nur ein Joyce, nur ein Kafka, nur ein Proust — dies gilt allerdings nicht allein für die Großen, auch die Kleineren sind alle unverwechselbar. In seinen Romanen »Der Prozeß« und »Das Schloß« hat er mehr noch als alle anderen vorgezeichnet, was zur Hölle unseres Jahrhunderts wurde, in der dann ja auch seine jüngste Schwester Ottla umkam, 1943 in Auschwitz.
Gottfried Keller
Ich weiß nicht, ob Gottfried Keller noch gelesen wird – der »Shakespeare der Novelle« (»Romeo und Julia auf dem Dorfe«?). Einer solchen Frage geht niemand demoskopisch nach. Bei jeder Gelegenheit frage ich Germanistikstudenten danach aus, und die Antworten sind meistens »Bahnhof«. Sie haben ihn schon allein deshalb nicht
Weitere Kostenlose Bücher