Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel
sein Vater kein Straßenbauarbeiter war, sondern ein Angestellter des Verkehrsministeriums, der sich dann eine Farm bei Reykjavik kaufte. Laxness bereiste Europa, bewohnte einige Monate bei Wasser und Brot eine Mönchszelle in Clairvaux und konvertierte 1923 zum Katholizismus. Ende der zwanziger Jahre lebte er länger in Amerika, wo er die Verhältnisse des freien Kapitalismus kennenlernte, und kehrte als Linker zurück. »Man muß schon ein Idiot sein, um in Amerika nicht Sozialist zu werden«, meinte er. Zweimal war er dann in der Sowjetunion, 1932 und 1937. Als einer der wenigen aus
dem steten Strom der Rußlandpilger dieser Jahre wandte er sich vom Kommunismus ab und trat in Interviews gegen die stalinistische Verkommenheit des Sozialismus auf. Seinem Ansehen im Ostblock hat es merkwürdigerweise nicht geschadet. 1953 verlieh man ihm in Moskau den Weltfriedenspreis.
Obwohl er wegen seiner religiösen und politischen Wirrungen in seiner engen Heimat lange Zeit geschmäht wurde, kennt dort heute jedes Kind seinen Namen. Es ist nicht zu begreifen, daß man diesem Volk von Lesern und Dichtern kürzlich das Goethe-Institut nehmen wollte, in dem sich unzählige deutsche Schriftsteller an Honoraren labten.
Als Laxness 1955 den Literaturnobelpreis bekam, war das eine Sensation für die Isländer. Bei seiner Rückkehr aus Stockholm versammelte sich eine riesige Menschenmenge am Hafen von Reykjavik. Der Dichter stand grüßend auf der Kommandobrücke des einlaufenden Schiffes.
Laxness wuchs mit den uralten isländischen Sagas auf, die seine Großmutter ihm erzählte. Später bezeichnete er sich als »strindbergbesessen«, angeregt vom deutschen Expressionismus und französischen Surrealismus. Seine Themen fand er abseits der Gesellschaft, bei kleinen Bauern, Fischern, Eremiten. Er hat den Weg seines Landes vom rückständigen Agrarstaat in die Moderne in seinen Büchern begleitet und Island einen Platz in der großen nordischen Literatur gesichert.
In Deutschland haben sich sechs Verlage an seinen Büchern versucht, mit mehr oder weniger Erfolg; seit einigen Jahren erscheint im Steidl Verlag eine Werkausgabe in zwölf Bänden. Sein bekanntester Roman »Das Fischkonzert« wurde im übrigen von Rolf Hädrich großartig verfilmt.
Laxness gehörte zu jenen Geistern, denen die Kreativität ein langes Leben schenkte. Anfang 1998, wenige Wochen vor seinem sechsundneunzigsten Geburtstag, ist er in einem Altersheim gestorben.
Siegfried Lenz
Wer einmal das Glück hatte, Siegfried Lenz in kleiner Runde zu erleben, der wird eingenommen worden sein von seinem freundlichen, aufgeschlossenen Wesen. Er vertritt in unserem Literaturbetrieb den Part des Menschenfreundes. Zu den großen politischen und literarischen Themen meldet er sich zu Wort, aber immer auf eine gewinnende, ausgleichende Art. Von ihm wird man niemals wütende Verdikte zu hören kriegen, die dem Gegner ein Zurück nicht mehr erlauben. Ein geistiger Brandstifter ist er bestimmt nicht. So zeugen auch alle seine Hörspiele, Dramen, Ezählungen und Romane, die ihn zu einem der wichtigsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur gemacht haben, von einem großen, um europäischen Humanismus bemühten Geist.
Mit feinem Humor und doch unverwechselbarem Ernst gestaltet er als aufmerksamer Zeitgenosse die großen Themen seiner Gegenwart, Themen, die uns alle bewegen: die Auseinandersetzung mit der Nazizeit in »Es waren Habichte in der Luft« (1951), die Kritik an der Wirtschaftswundermentalität
der Adenauerära in »Der Mann im Strom« (1957), mit »Heimatmuseum« (1978) die Vergangenheitsbewältigung im Vertriebenenmilieu. Und das Publikum nimmt ihn an, das ist das Besondere. Alle seine Romane hatten Millionenauflagen, wurden in viele Sprachen übersetzt, und sie wurden gelesen, sogar in Schulen … Sein größter Erfolg gelang ihm mit der »Deutschstunde«, die 1968 in einer Erstauflage von siebenhunderttausend Stück erschien und bereits nach drei Jahren verfilmt wurde. (Ein Freund von mir schenkte vor Jahren jedem seiner Kinder – es waren vier – ein Exemplar des Romans.) Siegfried Lenz wird mit Böll und Grass stets in einem Atemzug genannt. So hat er neben dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels auch so skurrile Auszeichnungen bekommen wie den Ring der Vereinigten Freimaurerlogen. Wie traurig ist es, daß er sein Leben in Hamburg — die Dänen wollten ihn nicht haben — immerfort unter Schmerzen zubringt. Eine Beschädigung, die er sich im Krieg
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