Umwege zum Glück
falls Papas Scheck nicht pünktlich käme. Was an sich äußerst unwahrscheinlich war.
Ich saß im Wagen und lächelte vor mich hin.
Schock in der Morgenstunde
Es wurde ein regnerischer Sonntag. Ich verbrachte ihn zum Teil damit, meine Unterwäsche und meine Blusen zu waschen. Dabei wanderten meine Gedanken die verschiedensten Wege. Sie gingen nach Aachen – ob Uwe wohl meinen Brief schon hatte? Na ja, wenn nicht, würde er ihn morgen früh bekommen. Er würde sich bestimmt freuen.
Wenn ich ihn richtig kannte, und das tat ich nun wohl nach diesen zwei Jahren, würde ich spätestens Mittwoch seine Antwort haben.
Hatte ich nun zu herzlich geschrieben? Ach was. Ich hatte doch nichts geschrieben, was ich nicht meinte. Ich schätzte wirklich seine Freundschaft sehr hoch. Er war eine angenehme Selbstverständlichkeit in meinem Leben. Wenn er auch nicht direkt spannend war.
Ob er auch so phantastisch gewesen wäre, wenn er ein hilfloses Mädchen an einer Münztankstelle getroffen hätte?
O ja. Bestimmt. Uwe war doch ein feiner Kerl. Aber ein so hübsches Lächeln wie Klaus Jährner hatte er nicht. Er hätte brav und treuherzig geholfen, aber nie wäre ihm die Idee gekommen, eine junge Medizinstudentin „Doktorchen“ zu nennen.
Nun hör auf, Reni, sagte ich zu mir selbst. Was ist das alles für Quatsch! Morgen zahlst du hübsch deine zwei fünfzig, und die Sache ist erledigt. Und Mittwoch kriegst du einen lieben, netten Brief von Uwe. In drei Wochen treffen wir uns in Hirschbüttel. Was werden wir uns alles zu erzählen haben! Ach ja, richtig, ich mußte ja ein Weihnachtsgeschenk für ihn kaufen. Ich hatte für ihn schon ein Buch ausgesucht. Wenn das Geld kam, würde ich gleich hingehen…
Zu schade, daß Uwe so weit weg war. Wie nett wäre es gewesen, wenn wir in der gleichen Stadt studiert hätten.
Ich wusch und dachte, dachte und wusch, und als ich hungrig wurde, machte ich mir Kakao und Wurstbrote. Heut war der zweite Tag ohne richtiges Mittagessen. Wenn ich morgen das Geld bekommen hatte, wollte ich anständig essen. Ich würde die Mensa links liegen lassen – ausnahmsweise!
Montags kam die Post immer früher. Wenn ich Glück hätte, würde ich sie kriegen, bevor ich zur Vorlesung mußte. Und ich hatte Glück! Ich stand auf der Treppe, gestiefelt und gespornt, mit der Collegmappe unter dem Arm und dem Autoschlüssel in der Hand, als der Briefträger mir den heißersehnten Einschreibbrief von Vati brachte. Ich quittierte, bekam meinen Brief und noch einen.
Na, eben schnell einen Blick darauf werfen, bevor ich startete!
Ich setzte mich hinters Steuer und guckte mir den anderen Brief an. Du liebe Zeit, Uwe hatte sich aber beeilt! Dann hatte er also doch meinen Brief am Samstag bekommen und sofort geantwortet!
Es lag eine steife weiße Karte im Kuvert. Kein geschriebenes Wort. Die Karte war doppelt, und ich machte sie auf.
I HRE V ERLOBUNG G EBEN B EKANNT
G ISELA T HOMAS , S TUD . I NG .
A ACHEN .
U WE A GERSTEDT , S TUD . I NG .
H IRSCHBÜTTEL .
Es wurde mir nebelig vor den Augen, und ich schnappte nach Luft. Uwe! Uwe verlobt!
Ich mußte es noch einmal lesen. Ja. Uwe Agerstedt, Hirschbüttel. Mein Uwe – die Selbstverständlichkeit in meinem Leben – Uwe, der zwei Jahre lang mein treuer Begleiter gewesen war – Uwe, der mich in den Armen gehalten und mich geküßt hatte – oft – sehr oft –
Uwe, dem ich vor drei Tagen so liebevoll geschrieben hatte!
Um Gottes willen – was hatte ich geschrieben? Einen langen Brief, wärmer und zärtlicher als je zuvor – und der hatte sich mit seiner Verlobungsanzeige gekreuzt!
Das Blut schoß mir in die Wangen, und mein Herz machte Sprünge des Entsetzens. Alles war ein einziges Durcheinander in meinem Kopf. Ich hatte Uwe verloren – wie gemein, daß er mir nur die Anzeige schickte und kein geschriebenes Wort –, und jetzt, in diesem Augenblick vielleicht, las er meinen Brief. Was sollte ich bloß machen? Wie sollte ich „mein Gesicht retten“? Es tat weh, Uwe zu verlieren, aber der Gedanke, daß ich ihm grade jetzt so geschrieben hatte, der war nicht auszuhalten. Ich hatte mich nie in meinem Leben so gedemütigt gefühlt!
Was sollte ich bloß tun?
Das einzige, was ich tun konnte, war, mich hinzusetzen und zu heulen!
Das tat ich dann auch.
Ich weiß nicht, wie lange ich da augenwischend und naseputzend gesessen hatte, als ich Schritte hörte. Ich befand mich noch auf dem Hof, wo Theodor immer die Nächte verbrachte. Ich mußte
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