Umwege zum Glück
Kommilitoninnen in den Wagen, und wir fuhren zur Mensa. Nach dem Essen, das sich in vielen und wesentlichen Punkten von dem gestrigen Donnerstagsessen unterschied, trollte ich mich nach Hause in meine Bude. Ich dachte darüber nach, was Jessica gesagt hatte. Daß es wohl nicht das Richtige war mit Uwe und mir. Ja aber – warum eigentlich nicht? Wir hatten es doch immer riesig nett, wir verstanden uns so gut, und ich freute mich wirklich darauf, ihn in den Weihnachtstagen wiederzusehen.
Eigentlich verdiente er einen langen und netten Brief. Er war immer so hilfsbereit, immer guter Laune, immer verständnisvoll.
Also setzte ich mich hin und schrieb. Ich schrieb länger und wärmer als sonst, erzählte ihm, wie ich mich auf unser Wiedersehen freute, erzählte, daß ich hier in Kiel beinahe nie ausging. Ich erinnerte ihn an unsere allernettesten Ausflüge und Abende in Hirschbüttel. Kurz gesagt, es wurde ein beinahe liebevoller Brief daraus, und ich ging extra zum Briefkasten damit, dann würde er wohl noch mit dem Nachtzug mitkommen.
Dann hatte ich ein gutes Gewissen und setzte mich hin zum Lernen. Der Brief an Madeleine war nicht so eilig.
Sonnabend morgen und keine Vorlesung – herrlich! Ich blieb lange im Bett, stellte fest, daß es der Neunundzwanzigste war, ich konnte den Rest meines Geldes verbrauchen, Montag war der Erste, und ich würde meinen Wechsel kriegen. Theodor war vollgetankt, ich konnte glatt nach Hamburg und zurück fahren – also schnell zum Supermarkt und meine Einkäufe machen, nachher mußte ich noch Strumpfhosen kaufen.
Dann geschah das, was nachher mein Glück wurde: Meine besondere Strumpfhosenmarke war ausverkauft, man bekäme sie wieder Anfang der Woche, sagte die Verkäuferin.
Na, dann wie der Blitz nach Hause, ein paar Brote für unterwegs streichen – zusehen, daß keine Briefe rumlagen, und dann los zu Anke.
Es regnete, und die Straßen waren glatt. Ich entschuldigte mich, daß ich so langsam fahren mußte.
„Gott sei Dank, daß du das tust“, sagte Anke. „Ich habe Angst vor regennassen Straßen. Bei solchem Wetter erlitt Peter seinen Unfall.“
Ich schwieg ein Weilchen, dann sagte ich:
„Jessica hat mir die ganze Geschichte von dir und Peter erzählt, Anke. Du tust mir wahnsinnig leid.“
„Jetzt brauchst du kein Mitleid mehr zu haben“, sagte Anke leise. „Jetzt habe ich es ja gut. Wenn ich erst das Examen hinter mir habe, dann wird es schon gehen. Ich werde dann zurück nach München fahren, und dort hat man mir eine Stellung versprochen. Und dann habe ich ja Klein Peterchen. Weißt du, wenn man ein Kind hat, für das man die ganze Verantwortung trägt, dann sieht das Leben ganz anders aus.“
„Hast du…“ fing ich an, aber ich unterbrach mich selbst.
„Was wolltest du fragen?“
„Nein, es war eigentlich nichts. Wirklich nichts.“
„O doch“, kam es von Anke. Ich hatte die Augen auf die Straße gerichtet und konnte Ankes Gesicht nicht sehen, aber ich hatte das Gefühl, daß sie ein kleines Lächeln um den Mund hatte. „Du würdest bestimmt fragen, ob ich nun mein Söhnchen wirklich lieb habe, so wie man sein Kind lieben soll, wo ich doch Peter nicht lieben konnte.“
„Nun ja, so was Ähnliches habe ich wohl gedacht.“
„Ja, siehst du, ich glaube, wir Frauen sind da ganz komisch geschaffen. Ich liebe Peterchen über alles auf der Welt, und wenn ich ihn auf dem Schoß habe oder mit ihm spiele, oder ihn nur ansehe, dann denke ich, daß alles, was ich durchmachte, eigentlich kein zu hoher Preis für dieses Glück war.“
„Hättest du deinen Mann nie lieb gewinnen können?“
Anke schwieg ein Weilchen.
„Nein“, sagte sie zuletzt. „Peter hat einmal ein paar Worte gesagt, die für immer wie eine undurchdringliche Wand zwischen uns gestanden hätten. Er hat mich so tief verletzt, wie ein Mensch einen anderen Menschen nur verletzen kann. Wenn ich ihn heiratete, geschah es aus zwei Gründen: Damit mein Kind ehelich geboren werden konnte, und dann meiner Schwiegereltern wegen. Und die haben mir alles gegeben, was Peter mir nicht gab. Die beiden habe ich sehr lieb. Und sie sollen nie zu wissen bekommen, wie Peter sich damals benommen hat. Er soll in ihrer Erinnerung als der gute, liebe Sohn weiterleben.“
„Aber haben sie denn nicht gefragt…“
„Ich habe ein paar kleine schneeweiße Lügen gebraucht, und ich bin davon überzeugt, daß der liebe Gott mir das verziehen hat!“
Jetzt waren wir an der Autobahneinfahrt. Von links kam der
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