Umwege zum Glück
weg von hier – da kam Frau Möller vom zweiten Stock, um ihren Mülleimer auszukippen. Wer weiß, ob nicht Frau Hansen dasselbe vorhatte, also nix wie los. Ich hatte weiß Gott nicht den Wunsch, grade jetzt Frau Hansen zu treffen und ihr die Sensation zu verschaffen, daß ich heulend im Wagen saß, statt in der Vorlesung zu sein.
Ich putzte mir noch einmal gewaltig die Nase und startete den Motor. Aber wohin? Zur Vorlesung war es zu spät, außerdem hatte ich keine Lust, mit rotgeweinten Augen da aufzukreuzen.
Ich konnte zur Bank fahren und mein Geld holen. Ich mußte es sogar. Und dann tanken.
Auf dem Parkplatz an der Bank fand ich eine freie Lücke neben einem kleinen blauen Fiat. Als ich ausstieg, hörte ich Hundebellen. Da saß ein kleiner schwarzer Hund in dem Fiat – liebe Zeit! Das war ja Bicky!
Das Fenster war einen Spalt offen, Bicky bohrte die Schnauze durch, ich konnte sie grade mit einem Finger kraulen. Sie wedelte wild. Kein Zweifel, daß sie mich wiedererkannte.
„Bickychen, ich kann nicht hier bleiben – ja, du bist ganz lieb, aber ich muß gehen – dein Frauchen kommt bestimmt bald, und sie darf mich nicht mit diesem verheulten Gesicht sehen – Bickylein, nicht so winseln…“
Schon zu spät! Da kam Frau von Waldenburg.
„Nein, Reni, sind Sie es, unterhalten Sie sich mit Bickylein? Ja, sie haßt es, allein im Wagen zu warten, aber was soll ich tun? Wie geht’s? Aber Kind, was haben Sie? Sie haben ja geweint!“
„Oh, das – das ist nichts-“
„Ist das nichts? Wenn Sie anscheinend eine Vorlesung schwänzen und hier mit roten Augen rumstehen – so, Kind, kommen Sie in meinen Wagen, Sie sollen nicht grade im Freien heulen, es weint sich sehr viel besser unter einem Dach!“
Ja, die Tränen kullerten mir schon wieder aus den Augen, ich war wütend, weil ich mich nicht beherrschen konnte!
Zu meiner Entschuldigung muß gesagt werden, daß ich gar keine Übung auf dem Gebiet Liebeskummer hatte. Dies war das erste Mal.
Bicky verlangte, auf meinen Schoß zu kommen, und ich blieb sitzen und kraulte sie. Die Tränen versiegten allmählich.
„So, Kindchen. Nun brauchen Sie bestimmt einen Menschen, bei dem Sie Ihre Sorgen abladen können. Wie wäre es mit mir? Ich glaube, ich habe Verständnis, und noch eins, ich kann schweigen. Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort.“
„Da bin ich auch ganz sicher“, sagte ich. „Und vielleicht hat das Schicksal es gut mit mir gemeint, daß ich Sie grade heut treffe. Aber andererseits, Sie mit meinen lächerlichen Sorgen zu belästigen – Und Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen-“
„Ach Quatsch! Dann kriegt Isa eben Joghurt als Nachtisch statt des Puddings, den ich eigentlich machen wollte. Ich habe massenhaft Zeit. Sie können ruhig auspacken – ach was, du kannst ruhig auspacken, mit unseren Donnerstagsmädchen duze ich mich aus Prinzip, ich bin hiermit deine Tante Christiane – also, erleichtere dein Herz, Kind!“
„Tausend Dank – ich meine, daß ich Tante sagen darf, – ja, vielleicht brauche ich grade eine Tante mit Erfahrung und Lebensweisheit, denn jetzt hat es mich erwischt. Das, worüber du am Donnerstag gesprochen hast. Ich habe schon Keuchhusten und Masern und den ersten Kuß hinter mir, und jetzt ist der Liebeskummer dran.“
„Ach, armes Hascherl, das tut weh, ich weiß schon. Hat er dich sitzen lassen oder habt ihr euch nur verzürnt?“
„Keine Spur von verzürnt. Aber heut bekam ich“ – ich schluckte – „seine Verlobungsanzeige. Ich hatte keine Ahnung.“
„Hattest du denn irgendwelche – ja, was soll ich sagen – Anrechte auf ihn?“
„Anscheinend nicht. Aber er ist seit zwei Jahren mein Freund gewesen, er hat zu der Zeit keine andere Freundin gehabt und ich keinen anderen Freund. Vor einem Jahr fing er mit seinen Studien in Aachen an, und wir schrieben uns regelmäßig – in den Semesterferien waren wir zusammen – und nun plötzlich…“
„Männer!“ sagte Tante Christiane. „Aber Reni, überleg dir, hast du ihm vielleicht den Eindruck gegeben, daß er dir doch nicht soviel bedeutete? Hast du ihn irgendwie vernachlässigt oder-“
„Ja – ich habe ihm eine Zeitlang nicht geschrieben, ich bin furchtbar schreibfaul – und in seinem letzten Brief sagte er auch nichts über unsere Freundschaft und so – er erzählte nur von seiner Arbeit und erwähnte einen Kommilitonen – “
„Also keine Kommilitonin?“
Ich stutzte.
„Kommi – weißt du, das ist vielleicht möglich – Moment mal“ Ich
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