Unbefugtes Betreten
ansehen, der auf einen Scharlatan hereinfiele.
»In Wirklichkeit mache ich mir eher Sorgen um deine Mutter.«
»Warum denn?«
»Sie scheint mir, ich weiß auch nicht, ein bisschen aus dem Tritt geraten zu sein. Vielleicht ist es nur Müdigkeit. Sie ist irgendwie langsamer geworden.«
»Wassagt sie dazu?«
»Ach, sie sagt, ihr fehle nichts. Und wenn doch, liege es nur an den Hormonen.«
»Wie meint sie das?«
»Ich hatte gehofft, das könntest du mir sagen.«
Das war noch ein netter Zug an meinen Eltern. Sie klammerten sich nie an Wissen und Macht, wie manche Eltern das gern tun. Wir waren alle miteinander erwachsene Menschen und auf gleicher Ebene.
»Wahrscheinlich kenne ich mich da nicht besser aus als du, Dad. Aber meiner Erfahrung nach greifen Frauen zu dem Allerweltswort ›Hormone‹, wenn sie dir etwas nicht sagen wollen. Ich denke dann immer: Moment mal, haben Männer nicht auch Hormone? Warum gebrauchen wir die nicht als Entschuldigung?«
Mein Vater lachte leise, aber ich merkte, dass seine Ängste nicht zerstreut waren. Darum schaute ich an seinem nächsten Bridgeabend bei Mum vorbei. Als wir in der Küche saßen, war mir sofort klar, dass sie mir meinen Vorwand, ich sei »gerade in der Gegend« gewesen, nicht abgekauft hatte.
»Tee oder Kaffee?«
»Koffeinfreien oder Kräutertee, ich schließ mich dir an.«
»Also, ich brauche einen ordentlichen Koffeinstoß.«
Irgendwie reichte das schon, um auf mein Anliegen zu kommen.
»Dad macht sich Sorgen um dich. Und ich auch.«
»Dad macht sich immer Sorgen.«
»Dad liebt dich. Darum achtet er auf alles, was mit dir ist. Wäre es anders, würde er das nicht.«
»Ja, da hast du vermutlich recht.« Ich sah sie an, aber ihr Blick war anderswohin gerichtet. Für mich war klar, dass sie darüber nachdachte, dass sie geliebt wurde. Das hätte michneidisch machen können, tat es aber nicht.
»Dann sag mir, was los ist, und erzähl mir nichts von Hormonen.«
Sie lächelte. »Ein bisschen müde. Ein bisschen tollpatschig. Weiter nichts.«
Wir waren etwa achtzehn Monate verheiratet, als Janice mir mangelnde Offenheit vorwarf. Wie es ihre Art war, sprach sie das natürlich nicht offen aus. Sie fragte mich, warum ich immer über unwichtige Probleme reden müsse statt über die wichtigen. Ich sagte, meiner Meinung nach stimme das so nicht, aber davon abgesehen seien große Dinge manchmal so groß, dass man nicht viel darüber sagen könne, während man kleine Dinge leichter diskutieren könne. Und manchmal hielten wir dies für das Problem, während es in Wirklichkeit das sei, und dagegen erscheine dies banal. Sie sah mich an wie einer meiner aufmüpfigen Schüler und sagte, das sei wieder mal typisch – eine typische Rechtfertigung meiner üblichen Art, immer auszuweichen, meiner Weigerung, den Tatsachen ins Auge zu sehen und Probleme anzugehen. Sie sagte, sie habe einen feinen Riecher dafür, wenn ich sie anlüge. So hat sie sich tatsächlich ausgedrückt.
»Also schön«, antwortete ich. »Seien wir offen. Gehen wir die Probleme an. Du hast eine Affäre und ich habe eine Affäre. Sehen wir jetzt den Tatsachen ins Auge oder nicht?«
»Das denkst du vielleicht. Du stellst es so hin, als wären wir damit quitt.« Und dann erläuterte sie mir die Unaufrichtigkeit meiner angeblichen Offenheit und den Unterschied zwischen unseren Seitensprüngen – ihrer von Verzweiflung getrieben, meiner von Rachsucht – und wie bezeichnend es sei, dass ich diese Affären für das Entscheidendehielte und nicht die Umstände, die zu ihnen geführt hätten. Womit wir wieder bei den ursprünglichen Vorwürfen waren.
Was suchen wir in einer Partnerschaft? Suchen wir einen Menschen, der so ist wie wir, einen Menschen, der anders ist? Einen Menschen, der so ist wie wir, nur anders; anders, aber so wie wir? Einen Menschen, der uns ergänzt? Ja, ich weiß, man soll nicht verallgemeinern, aber trotzdem. Der springende Punkt ist: Wenn wir einen Menschen suchen, der zu uns passt, denken wir immer nur an die positiven Übereinstimmungen. Was ist mit den negativen Übereinstimmungen? Glaubst du, wir werden manchmal von Menschen angezogen, die dieselben Fehler haben wie wir?
Meine Mutter. Wenn ich heute an sie denke, kommt mir ein Satz in den Sinn – ein Satz, den ich gesagt hatte, als Dad mir etwas von seinen sechs chinesischen Pulsen vorschwafelte. Dad, hatte ich gesagt, es gibt nur einen Puls – den Puls des Herzens, den Puls des Blutes. Die Fotos von meinen Eltern, an denen ich
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