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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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rüberzubringen. Vielleicht liegt es an diesen Pheromonen.
    Jakes Eltern haben sich getrennt, als er zehn war. Darum hat er keine großen Erwartungen, sagt er. Genieße den Tag, sagt er, immer schön locker bleiben. Als würde er die Regeln seiner Jogginggruppe auch auf sein übriges Leben anwenden. Ein bisschen imponiert mir diese Einstellung, aber im Grunde will ich sie nicht und bin nicht neidisch darauf.
    Als Janice und ich uns das erste Mal getrennt hatten, nahm Jake mich in eine Weinbar mit, und während ich an meiner täglichen Höchstmenge von einem einzigen Glas nippte, erklärte er mir, ganz teilnahmsvoll und umständlich, er halte Janice für unaufrichtig, manipulierend und womöglich psychopathisch. Ich erwiderte, sie sei quirlig, sexy, aber ein kompliziertes Mädchen, bei dem ich manchmal nicht durchblicke, vor allem jetzt. Jake fragte, auf noch umständlichere Art, ob ich wisse, dass sie sich in der Küche an ihn rangemacht habe, als er drei Wochen zuvor bei uns zum Essen war. Ich erklärte ihm, er habe einfach ihre freundliche Art missverstanden. Eben darum sei sie eine Psychopathin, antwortete er.
    AberJake bezeichnete Leute oft als Psychopathen, wenn sie einfach nur zielgerichteter waren als er, darum nahm ich ihm das nicht weiter übel, und ein paar Wochen später waren Janice und ich wieder zusammen. In der ersten Begeisterung des Neubeginns mit Sex und Erregung und Aufrichtigkeit hätte ich ihr fast erzählt, was Jake gesagt hatte, aber dann ließ ich es lieber bleiben. Dafür fragte ich sie, ob sie je daran gedacht habe, mit einem anderen abzuziehen, und sie sagte ja, etwa dreißig Sekunden lang, darum rechnete ich ihr das als Ehrlichkeit an und fragte mit wem, und sie sagte, den würde ich nicht kennen, und damit gab ich mich zufrieden, und bald darauf waren wir verlobt.
    Ich sagte zu meiner Mutter: »Du magst Janice doch, oder?«
    »Natürlich. Solange sie dich glücklich macht.«
    »Das klingt ... wie ein Vorbehalt.«
    »Nun ja, das ist es auch. Das muss so sein. Mutterliebe ist vorbehaltlos. Die Liebe einer Schwiegermutter steht unter Vorbehalt. Das war schon immer so.«
    »Und wenn sie mich unglücklich macht?«
    Meine Mutter antwortete nicht.
    »Und wenn ich sie unglücklich mache?«
    Sie lächelte. »Dann leg ich dich übers Knie.«
    Wie es sich ergab, wäre es fast nicht zur Hochzeit gekommen. Wir haben beide einmal um Aufschub gebeten und mussten sogar eine offizielle Rüge von Jake einstecken, weil wir beim Joggen schwerwiegende Probleme wälzten. Als ich die Hochzeit aufschob, sagte Janice, der eigentliche Grund sei, dass ich Angst hätte, mich zu binden. Als sie die Hochzeit aufschob, lag es daran, dass sie nicht wusste, ob sie wirklich jemanden heiraten wollte, der Angst hatte, sich zu binden. Demnach war es beide Male irgendwie meine Schuld.
    Einerder Bridgepartner meines Vaters empfahl Akupunktur. Die hatte bei seinem Ischias anscheinend Wunder gewirkt.
    »Aber du glaubst doch gar nicht an so was, Dad.«
    »Wenn es mich heilt, glaube ich daran«, erwiderte er.
    »Aber du bist ein rationaler Mensch, genau wie ich.«
    »Wir im Westen haben kein Wissensmonopol. Andere Länder wissen auch etwas.«
    »Natürlich«, stimmte ich zu. Aber irgendwie erschreckte mich das, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen. Unsere Eltern dürfen sich doch nicht ändern, oder? Und schon gar nicht, wenn wir selbst erwachsen sind.
    »Erinnerst du dich – nein, du warst wohl noch zu klein – an diese Fotos, wo chinesische Patienten am offenen Herzen operiert wurden? Zur Betäubung gab es nur Akupunktur und eine Ausgabe der Mao-Bibel.«
    »Kann es sein, dass diese Fotos ausgemachter Schwindel waren?«
    »Warum sollten sie?«
    »Mao-Kult. Beweis für die Überlegenheit der chinesischen Denkungsart. Und wenn es funktionierte, auch noch Kosteneinsparungen im Gesundheitsbereich.«
    »Siehst du, jetzt hast du gesagt, wenn es funktionierte .«
    »Ich hab’s nicht so gemeint.«
    »Du bist zu zynisch, mein Sohn.«
    »Du bist nicht zynisch genug, Dad.«
    Er ging in diese ... wie immer Akupunkteure ihre Praxis oder Ambulanz nennen, in einem Haus am anderen Ende der Stadt. Mrs Rose trug einen weißen Kittel, wie eine Krankenschwester oder Zahnärztin; sie war um die Vierzig und sah ganz vernünftig aus, wie Dad sagte. Sie hörte sich seine Geschichte an, nahm die Anamnese auf, fragte, ob er anVerstopfung leide, und erläuterte ihm die Grundlagen der chinesischen Akupunktur. Dann ging sie hinaus,

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