Unbekannt verzogen: Roman
es weitergehen soll.
Wie auch immer. Dieser Brief soll so etwas wie eine Richtigstellung werden. Eine Beichte. Vielleicht habe ich auch nur ein schlechtes Gewissen wegen der Sachen, die ich letztes Mal geschrieben habe.
Natürlich habe ich gesagt, dass ich meinen Mann nicht liebe und dass ich ihn verlassen will usw. usw. (was im Übrigen auch alles stimmt), das heißt ja noch lange nicht, dass ich ihn nicht doch irgendwie gern habe. Es ist so ähnlich wie … wie in einem Flugzeug. Meine Liebe für ihn hat keinen Platz vorne in der ersten Klasse, mit einem Glas Champagner und einem guten Buch. Ganz bestimmt nicht. Sie sitzt noch nicht mal in der Reihe mit den Notausstiegen (auch wenn das ein ziemlich passendes Bild wäre). Meine Liebe für ihn hockt eingequetscht mitten in der letzten Reihe, direkt neben den Toiletten. Aber wenigstens ist sie mit an Bord. Und darauf kommt es doch in erster Linie an.
Es ist schon komisch. Obwohl ich ihn nicht LIEBE (im Sinne von erster Klasse und Ledersitzen), hat mich der Krebs daran erinnert, was ich an ihm liebe. Und damit meine ich nicht etwa seine sympathischen Marotten oder seine lustigen Witze, weil er nämlich keine sympathischen Marotten hat und seine Witze eher lahm sind. Ich glaube, ich will eher darauf hinaus, dass wir eine gemeinsame Geschichte haben. Wir haben ein Kind! Das ist so, als wären wir mit einem Segelboot heil durch einen schweren Orkan gekommen. (Hoffentlich mache ich Dich nicht konfus mit meinen Flugzeugen und Segelschiffen. Ich komme schon selber nicht mehr ganz mit.) Drücken wir es anders aus: Unsere Ehe war ein sehr, sehr langer Flug, und jetzt ist die Maschine abgestürzt. Dass ich am liebsten gar nicht mitgeflogen wäre, mich an Bord die meiste Zeit unwohl gefühlt habe und schon gar nicht da enden wollte, wo es mich nun hinverschlagen hat, scheint alles keine Rolle mehr zu spielen. Es geht nur darum, dass wir überlebt haben.Wie soll man sich einem Menschen nicht verbunden fühlen, mit dem man so etwas durchgemacht hat?
Aber vielleicht ist mein schönes Beispiel doch nicht so richtig gelungen, weil Bob nämlich noch gar nicht weiß, dass wir abgestürzt sind. Er glaubt, wir sind nur in eine kleine Turbulenz geraten und frühstücken morgen am Strand. Ich weiß ja, alles im Leben ist subjektiv, aber dass zwei Menschen ein und denselben Flug SO unterschiedlich erleben, kann eigentlich gar nicht sein: Der eine gleitet in 12 000 Metern Flughöhe durch die Wolken, während der andere durch qualmende Trümmer stolpert.
Gott, bin ich müde.
Und damit meine ich übrigens nicht, dass Du Gott bist. Selbst wenn es ihn gäbe, dem Mistkerl würde ich nicht schreiben.
Und Richard bist Du auch nicht, das ist mir klar. Ich werde Dich nicht mehr so nennen; diese verrückte Anwandlung ist vorbei.
Obwohl Albert den Satz mehrere Male hintereinander liest, wird ihm der Sinn auch nicht klarer.
Meinen Namen kriegst du auch nicht mehr. Das war eine einmalige Sache. Tut mir leid.
Zum Glück habe ich das mysteriöse, anonyme C inzwischen richtig ins Herz geschlossen.
Hier kommt es wieder,
C.
Albert hat es die Sprache verschlagen. Er ist umgeben von Tausenden verloren gegangener Briefe, doch er ahnt, was mit ihrem geschehen ist.
Offenbar hat sie ihm ihr Herz ausgeschüttet. Sie hat ihm ihren Namen verraten!
Vorbei, zu spät, vernichtet.
Zu Klopapier recycelt.
Ihm ist nach Schreien, Brüllen und sogar Weinen zumute.
Stumm in seinem staubigen Kabuff hockend, kommt ihm zuletzt doch noch leise ein einziges Wort über die Lippen.
»Scheiße.«
34
Carol ist verwirrt. In den letzten beiden Tagen hat sie Bob gegenüber einen seltsamen Beschützerinstinkt an den Tag gelegt, der mit sich bringt, dass sie sich um sein Wohlergehen sorgt, während sie andererseits bereits dem Zeitpunkt entgegenfiebert, da sie ihm endlich das Herz brechen kann. Auch dass sie von der Grillparty betrunken nach Hause gekommen ist, war ihrer Beziehung nur förderlich. Nach Bobs Auffassung hat sie sich keinen angesoffen, sondern sich für das Team geopfert.
Dass von Sex keine Rede sein kann, ist natürlich ebenfalls ein Vorteil. Bobs Hodensack ist noch immer so schmerzempfindlich wie ein frisch verunglücktes Unfallopfer, und er hat mehrmals angedeutet, dass er die Lust am Sex verloren hat – auch das eine neue Gemeinsamkeit.
»Ich komme mir fast wieder vor wie in unserer Anfangszeit«, sagt Bob, als sie sich unter die Decke kuscheln.
Carol lacht. »Nein, in unserer Anfangszeit warst du
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