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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
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Blick auf die Aufnahme. »Du drückst ja die Daumen«, sagt sie. Aus ihrem Ton wird nicht ganz klar, ob sie das für gut oder für schlecht hält.
    »Ach.« Carol winkt ab. »Das ist bloß eine Angewohnheit von mir.«
    »Du bist ja vielleicht ‘ne Marke.« Erleichtert legt sie die Kamera wieder weg. Der Umgang mit der modernen Technik scheint sie geistig und körperlich erschöpft zu haben. »Und jetzt zurück zum gemütlichen Teil.« Sie drängt Carol einen großen Cocktail auf. »Nüchtern geht die Welt zugrunde.«
    »Wenn du meinst.« Carol trinkt ein paar kräftige Züge.
    »Heh, die Frau müssen wir im Auge behalten«, brüllt Tony. »Sie hat heute Abend noch mächtig was vor, das sieht man. Tja, so kann’s gehen, wenn der Alte zu Hause sitzt und sich die Eier schaukelt.«
    Nach dem Essen wird stumpfsinnig weitergetrunken. Als Mandy und Tony im Wohnzimmer die Diskobeleuchtung einschalten, fühlt Carol sich wie in eine zweitklassige Karaokebar versetzt.
    »Super, was?«, grölt Mandy, deren blonde Strähnchen im Licht der Scheinwerfer wie Elmsfeuer leuchten. »Zu schade, dass sonst keiner kommen konnte.«
    »So unwahrscheinlich es vielleicht klingt«, nuschelt Carol, von einem nicht mehr zu unterdrückenden Wahrheitsdrang getrieben, »aber es gibt Leute, die keine Lust haben, an einem kalten Regenabend zu grillen.«
    »Findest du denn nicht, dass es Spaß macht?«
    »Nein, ehrlich nicht. Auch wenn das Essen nicht völlig ungenießbar war. Was allerdings mit daran lag, dass man es mit Alkohol runterspülen konnte.«
    Mandy fasst das als Kompliment auf. »Tony und ich, wir sind zwei kleine Frischluftfanatiker. Andere Leute sind eben eher Stubenhocker.«
    »Mein Gott, Mandy. Wann wagt ihr euch denn schon mal an die frische Luft? Doch höchstens, wenn ihr vor der Garage geparkt habt.« Ein letzter Schluck Wodka. »Ich muss gehen.«
    »Aber jetzt doch noch nicht. Ich muss dir erst unsere große Neuigkeit erzählen. Tony und ich haben uns entschieden: Wir wollen ein Kind.«
    »Großer Gott …« Nun braucht Carol doch noch einen Schluck, und zwar einen großen. »Wollt ihr euch nicht lieber sterilisieren lassen?«
    »Wieso? Bei uns ist immer alles sauber.«
    »Was ist sauber?«, mischt Tony sich vom anderen Ende des Wohnzimmers ein.
    »Carol meint, bei uns wär’s nicht sauber. Dabei hab’ ich mich doch auf meine alten Tage noch zu einem richtigen Putzteufelchen entwickelt. Ich bin die halbe Zeit am Schrubben.«
    »Und die andre Hälfte der Zeit schrubb’ ich dich tüchtig durch.«
    »Okay«, sagt Carol. »Ich kann wirklich nicht mehr bleiben.«
    Mandy zieht ein trauriges Hündchengesicht, aber als das Stroboskoplicht drauffällt, sieht sie aus, als wäre sie von einem Dämon besessen.
    »Ich will noch einen Brief schreiben, bevor ich ins Bett gehe.« Carol muss schreien, um sich bei der lauten Musik verständlichzu machen. »Wenn ich jetzt nicht gehe, kann ich gleich nicht mal mehr einen Stift halten, geschweige denn geradeaus denken.«
    »Es geht schneller, wenn du tippst. Ich kann’s ja selber nur mit dem Zweifingersystem, aber das ist immer noch flotter, als mit dem Kugelschreiber auf der Tastatur rumzustochern.«
    Wenn Carol ein Mann wäre – und Mandy auch –, würde sie ihr für ihre Dummheit einen Kinnhaken verpassen.
    »Danke für den Tipp«, sagt sie. »Vielleicht probiere ich’s mal aus.«

32
    Heute, denkt Albert. Vielleicht ist heute der Tag, an dem ich wieder einen Brief von Connie bekomme.
    Aber wenn er ehrlich ist, weiß er, dass es heute auch nicht wahrscheinlicher ist als sonst. Er kann noch nicht mal genau sagen, ob seine Chancen mit jedem Tag, der ins Land geht, statistisch gesehen steigen oder nicht doch eher sinken. Vielleicht hat sie keine Lust mehr, Briefe zu schreiben. Vielleicht ist sie tot. Dann kann er warten, bis er schwarz wird.
    Doch bis dahin heißt es stark sein. Natürlich muss er an seine Lunge denken, aber ihm fällt nichts Rechtes ein, was er für sie tun kann. Das Einzige, was er einigermaßen im Griff hat, ist sein Verstand. Und er ist wild entschlossen, ihn auf Trab zu bringen.
    »Du machst … was?«, staunt Mickey, als Albert ihm erklären will, womit er sich da beschäftigt.
    »Das heißt Sudoku«, antwortet er so souverän wie möglich, als hätte er die Materie gründlich durchdrungen.
    »Was ist das denn für eine Sprache?«
    »Ist doch egal. Damit kann man sein Gehirn trainieren.«
    »Ja, aber womöglich hat der Name was Wichtiges zu bedeuten.«
    »Dabei geht’s

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