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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
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dir?«
    Sie hat noch nicht ganz ausgesprochen, da weiß sie schon, dass diese Frage für einen Mann wie Bob die falsche ist. Wahrscheinlich ehrt es ihn sogar, dass er über solche Themen niemals nachdenkt. Sein Glück ist eine Gleichung aus einfachen Dingen – ob er sich noch ein Bier genehmigen soll, wie viele Versuche, Carol rumzukriegen, er noch starten kann, bevor er aufgibt –, aber die wirklich wichtigen Fragen des Lebens sind für ihn feste Größen, an denen sich nicht rütteln lässt.
    Er wirft ihr einen besorgten Blick zu. »Wieso? Bist du denn glücklich? Mit dir selbst?«
    »Natürlich«, antwortet sie eine Spur zu schnell. »Keine Ahnung, warum ich das überhaupt gefragt habe. Vergiss es.«

35
    Zwar hat Albert leider die Gelegenheit verpasst, ihren Namen zu erfahren, aber der neueste Brief enthält nichts, was seinen Verdacht entkräften könnte: Sie führt sich immer noch wie eine Connie auf.
    »Wahrscheinlich eine Gin-Drossel«, sagt er zu sich, während er die Plätzchendose öffnet und den neuen Brief vorsichtig unter den alten legt. Er ordnet sie in der Reihenfolge ihres Eintreffens – man kann eben nicht vierzig Jahre bei der Post beschäftigt sein, ohne dass einem ein gewisser Ordnungssinn in Fleisch und Blut übergeht. Die Smileys kommen nach oben, damit sie ihn immer gleich ansehen, wenn er den Deckel hochhebt.
    »Das hört man gar nicht gern, dass ihr Mann krank ist«, sagt er zu Gloria. Er macht ihr eine Büchse Sardinen auf und richtet das Essen auf einem Teller an. »So eine schlechte Nachricht hat eigentlich kein lachendes Smiley verdient. Andererseits sagt sie ja, dass sie ihn nicht liebt. Und nicht vergessen: Sie ist eine Connie.«
    Gloria verfolgt mit großen Augen, wie er den Fisch zerdrückt und ihr das Abendessen bringt. Gerade, als er es ihr hinstellen will, dröhnt plötzlich eine Schnulze von Engelbert Humperdinck durch die Wand, in einer Lautstärke, dass die Möbel wackeln. Albert bleibt wie angewurzelt stehen, den Teller immer noch in der Hand.
    »Nicht schon wieder«, seufzt er. Dass Gloria sich die Lippen leckt und in ihrem Gipskorsett zappelt, bekommt er in seiner Empörung gar nicht mit.
    »Dabei geht’s ihm gar nicht um die Musik.« Er stapft im Zimmer auf und ab. »Das ist eine Kampfansage. Er will, dass ich rüberkomme.«
    Beide Männer wissen, dass es zu keinem Streit kommen wird. Natürlich könnte Albert jederzeit die Polizei rufen, doch das istihm zu riskant, weil er nicht mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass Max das Gefängnis nicht wieder lebend verlassen wird. Die Polizei würde kommen, gut und schön, aber sie würde auch wieder gehen, und davor hat er Angst. Da redet er sich lieber ein, er wäre schon von jeher ein Fan von Engelbert Humperdinck gewesen und käme nun in seiner eigenen Wohnung in den Genuss eines Gratiskonzerts.
    »Er war mir immer eine Spur zu schmalzig, aber wenigstens hat Max nicht wieder dieselbe Platte aufgelegt.« Erneut ertönt der Refrain, ein markerschütterndes Gebrüll, das an Körperverletzung grenzt. »Wobei mir noch ganz andere Worte als ›schmalzig‹ einfallen …«
    Endlich bemerkt er doch noch Glorias verzweifelt hilfloses Gestrampel.
    »Du armes Ding«, sagt er. »Hier hast ja schon dein Fresschen.«
    Er stellt ihr den Teller hin. Wie besessen schlingt sie den Fisch in großen Happen hinunter.
    Albert wartet vergeblich auf ihr übliches Schnurren, die Musik übertönt alles – so macht ihm das Füttern keinen Spaß.
    »Tut mir leid«, sagt er und reißt ihr den Teller wieder weg. »Wir müssen das auf später verschieben.«
    Eingegipst, wie sie ist, kann Gloria nur traurig hinterherblicken, als der Teller in Richtung Küche entschwindet.
    »Keine Bange, deine Sardinen sind im Handumdrehen wieder da.«
    Nebenan schleudert es Engelbert plötzlich aus der Rille, mit einem hässlichen Kratzen rutscht die Nadel über das Vinyl. Einen Augenblick herrscht Stille, dann brüllt Max los.
    »Du bescheuerte Kuh!« Während er versucht, den Anfang des Lieds wiederzufinden, sind nur noch vereinzelte Musikfetzen zu hören. »Ich warne dich. Mach das noch ein Mal, und ich schmeiß dich im hohen Bogen aus dem Fenster, verstanden?«
    Dann bricht der Lärm-Tsunami, unter dem die Wände beben, wieder los, doch kaum hat Engelbert richtig aufgedreht, bleibt die Nadel hängen, und das immergleiche Wort dröhnt herüber, in der Wiederholung hat es fast etwas Hypnotisches.
    Dann bricht es ab, und in die erneute Stille mischt sich Max’

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