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Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
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nächsten fünf Stunden verbringt Albert allein in der Gesellschaft von fünfzehn Säcken mit ausgesonderter Post. Durch das vergitterte kleine Fenster sehen nur graue Wolken zu ihm herein. Erst nach der Mittagspause bringt ihm ein junger Kollege die unzustellbaren Sendungen des Tages. Obwohl Connies Brief mitten im Stapel steckt, erkennt Albert ihn sofort. Die Ränder des Umschlags fühlen sich warm an, eine Streicheleinheit für die Fingerkuppen. Der Kollege ist kaum zur Tür hinaus, als Albert sich schon in die Betrachtung des Briefes versenkt hat. Das Smiley ist alles, was er braucht, der Höhepunkt des Tages und der gesamten Woche.
    Um dieses wunderbare Gefühl möglichst lange auskosten zu können, beschließt er, ihn nicht gleich zu öffnen, sondern damit zu warten, bis er wieder zu Hause ist, und den Rest des Tages die Vorfreude zu genießen.

38
    Ich bin ein schlechter Mensch. Das hätte ich bestimmt schon vor geraumer Zeit merken müssen – und ich muss zugeben, insgeheim habe ich es fast immer vermutet. Jetzt bin ich achtunddreißig, und mein Verdacht hat sich tatsächlich aufs Schönste bestätigt. Als hätte ich meine Schwächen bis heute nur auf einem abgenudelten Videoband gesehen und plötzlich erstrahlten sie in höchster Auflösung auf einer Blu-ray Disc. Damit wäre ein neuer Gipfel der Selbstverachtung erreicht.
    Die Sache ist die: Mein Mann (der Vater meiner Tochter … der mit dem einen Hoden) hat sich gerade mit einer angeblichen Grippe ins Bett gelegt. Ich müsste ihn pflegen. Schließlich hat er womöglich Krebs. Ich müsste übers Wasser gehen oder die Toten zum Leben erwecken, damit es ihm gut geht. Aber soll ich Dir was sagen? Es ist mir egal. Nicht der Krebs natürlich, aber die Grippe. Die kümmert mich nicht die Bohne. Ich glaube noch nicht mal, dass er wirklich eine hat. Er will sich nur im Mitleid suhlen. Reicht ihm der Krebs nicht?
    Siehst Du, jetzt fange ich schon wieder an. Andere Leute spenden Geld an Organisationen, die Leuten wie meinem Mann helfen, und ich (seine eigene Frau!) unterstelle ihm niedere Beweggründe und kann nur daran denken, wie zuwider er mir ist.
    Wenn das nicht beweist, dass ich ein schlechter Mensch bin, weiß ich es auch nicht. Mir ist natürlich klar, dass Mord noch um einiges verwerflicher ist, aber vielleicht fängt eben damit alles an, mit einem unterschwelligen Hass auf einen Mann, der gerade einen Hoden verloren hat.
    Das Abendessen hat die Sache auch nicht besser gemacht. Dabei wollte ich nur kreativ sein. Nein, das stimmt nicht. »Kreativ« hört sich so an, als hätte ich künstlerische Ambitionen. In Wahrheit wollte ich nur jemand anderer sein. Wieso das besser sein soll, als kreativ sein zu wollen, weiß ich auch nicht genau. Aber ich schätze, das sagt schon alles über mich.
    Im weiteren Sinne wollte ich wohl Nigella Lawson sein. Oder wenigstens jemand, der mit Essen umgehen kann. Die Sorte Frau, die nur in den Küchenschrank zu greifen braucht, um aus allem, was sie findet, etwas Köstliches zu zaubern. Da stand ich nun also und hab die leckersten Sachen kombiniert, in der Hoffnung, dass dabei nicht nur ein sagenhaftes Gericht herauskommt, sondern sich wie durch ein Wunder auch gleich noch mein ganzes Leben und – soweit denn möglich – mein Mann verändern.
    Daraus wurde nichts. Um es gleich vorweg zu sagen: Kardamom und Basilikum passen nicht zusammen. Und schon gar nicht zu Zitronenzesten. Und Fenchelsamen bleiben in den Zähnen stecken, vor allem, wenn man zähen Trockentofu kaut.
    Eins muss ich meinem Mann lassen: Er hat sich nicht ein einziges Mal beschwert, dass es ihm nicht schmeckt – bloß in seinem Essen herumgestochert. Und einmal hat er gesagt, dass er auf diese Geschmacksmischung nie gekommen wäre. Ich selber ja, ehrlich gesagt, vorher auch nicht. Dabei wollte ich doch nur mal spontan und frei sein, auch wenn ich im Nachhinein begreife, wieso Nigella dieses Rezept bis jetzt noch nicht eingefallen ist.
    Ich meine ja bloß, es wundert mich gar nicht, dass er es nicht mochte. Ich fand es ja selber ungenießbar. Was ich ihm übelnehme, ist seine Reaktion: ein bisschen Gestochere, ein paar halbherzige Bissen und ausgiebiges Naserümpfen. Ich glaube, es wäre mir lieber gewesen, wenn er seinen Teller an die Wand geschmissen – und vielleicht noch mehr Geschirr zerteppert hätte. Ein handfester Krach ist wie ein Gewitter, findest Du nicht auch? Er reinigt die Luft.
    Manchmal stelle ich mir vor …
    Carol hält inne. Will sie einem

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