Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unbekannt verzogen: Roman

Unbekannt verzogen: Roman

Titel: Unbekannt verzogen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Winter
Vom Netzwerk:
Bob das Wohnzimmer in die Quarantänestation einer Klinik mitten in den Tropen verwandelt. Die Hitze ist unerträglich, die Vorhänge sind zugezogen, und in der Luft steht eine Wand aus Körpergeruch. Man könnte meinen, hier hätte sich ein Mann verkrochen, für den der Krebs noch das geringste seiner Probleme ist.
    »Heiz doch das Zimmer nicht so auf, damit machst du alles nur noch schlimmer«, sagt Carol, die in der Tür steht.
    Bob ist im Düstern überhaupt nur durch den Schein des Fernsehers auszumachen, der seinem Gesicht ein bläulich lebloses Aussehen verleiht.
    »Ich will die Grippe ausschwitzen«, antwortet er.
    »Aber doch nicht unbedingt in die Couch.« Wortlos wendet Bob sich wieder dem Fernseher zu. »Das Essen ist gleich fertig.«
    »Was gibt es denn?«
    Carol zögert kurz, sie will ihn nicht verschrecken. »Warte noch ein paar Minuten, dann siehst du es schon.«

37
    Albert spürt die Veränderung. Sie ist schleichend über ihn gekommen, aber sie lässt sich nicht leugnen. Gloria merkt sie ihm ebenfalls an, ihre Blicke verraten es. Sie scheint zu wissen, dass sie seine Zuneigung mit einer anderen teilen muss.
    Wenigstens schnappt er diesmal nicht über. Bei der letzten postalischen Durststrecke konnte er nicht mehr geradeaus denken und nichts mehr essen, jetzt dagegen … Sicher wartet er sehnlichst auf einen neuen Brief von ihr, aber dafür sind Freunde schließlich da: dass sie sich Sorgen machen, wenn sie nichts voneinander hören, und dass Connie und er inzwischen Freunde geworden sind, steht für ihn fest.
    »Meinst du, ihr ist was passiert?«
    Glorias kryptisches Blinzeln ist nicht zu deuten. Mit den steif von sich gestreckten Gipsbeinen sieht sie aus wie eine Mumie, ein altägyptisches Götzenbild. Und sie ist ja auch ein anbetungswürdiges Geschöpf, diese Katze, die alles versteht und nie ein Wort sagt.
    »Ob Connie wohl eine Frau ist, die man in den Arm nehmen kann? Sie macht auf jeden Fall den Eindruck. Bei all ihren Problemen scheint sie ja doch eine Seele von Mensch zu sein.« Gloria schließt die Augen, Alberts Stimme wirkt wie ein Schlafmittel auf sie. »Ich hab’ schon ewig niemanden mehr in den Arm genommen …«
    Als Albert sich auf den Weg zur Arbeit macht, lastet ihm die Ungewissheit schwer auf der Seele. Wird er heute endlich von ihr hören? Seine Pensionierung ist wieder einen Tag näher gerückt. Nicht auszudenken, wenn sie sich bis dahin nicht mehr meldet. Schließlich kann er nicht einfach in der Sortierstelle aufkreuzen und nachsehen, ob Post gekommen ist. Er würde sie endgültig verlieren.
    Dieser Gedanke macht ihm so zu schaffen, dass er für eine Begegnung mit Max, der sich im Treppenhaus eine Zigarette gönnt, seelisch denkbar schlecht gewappnet ist.
    »Hoppla«, sagt Max. »Wer ist denn nun schon wieder gestorben? Die Katze vielleicht? Du willst den Kadaver doch wohl hoffentlich nicht den ganzen Tag in der Wohnung liegen lassen? Das zieht die Fliegen an.«
    »Gloria geht es gut.«
    »Ach ja? Mit zwei gebrochenen Beinen und einem Gehirn groß wie eine Erbse? Vollidiot.« Er sieht hinter Albert her, der mit hängenden Schultern zum Fahrstuhl schlurft. »Sogar deine Katze ist ein Krüppel. Du solltest dich echt mal fragen, was das wohl über dich aussagt.«
    Der nahende Winter kündigt sich an. Es ist, als hätte jemand ein Loch in den Himmel gestanzt, durch das das ganze Licht, die ganze Wärme und alle Farben abfließen. Auf Albert wirkt das Wetter wie eine Mahnung an Endlichkeit und Verlust, der meteorologische Ausdruck seiner dunkelsten Ängste.
    Als er in der Sortierstelle eintrifft, ist er so niedergedrückt, dass er unbedingt mit einem anderen Menschen reden muss, ganz gleich mit wem.
    »Na, alles klar?«, sagt Darren im Vorbeihasten. Er will ganz offensichtlich keine Antwort.
    »Ehrlich gesagt, bin ich in Sorge um eine Freundin.«
    Darren bleibt stehen. »Wie bitte?«
    »Ich bin in Sorge um eine Freundin. Ich habe schon länger nichts mehr von ihr gehört.«
    Darren ist peinlich berührt. Normalerweise tauschen sie nicht solche Vertraulichkeiten aus.
    »Äh, dann ruf sie doch an.«
    »Ich habe ihre Nummer nicht.«
    »Und wenn du bei ihr vorbeigehst?«
    »Ich, äh … weiß ihre Adresse nicht mehr.«
    Darren nickt, endlich sieht er klar. Es geht hier gar nicht um Alberts Bekannte, sondern darum, dass Albert langsam sonderlich wird.
    »Ich würde dir zu gern helfen, wirklich, aber du weißt ja, wie es ist.« Er tippt auf seine Armbanduhr und eilt weiter.
    Die

Weitere Kostenlose Bücher