Unbekannt verzogen: Roman
Sie dafür auch Abnehmer? Oder werden Sie oft abgewimmelt, wie ein Staubsaugervertreter?«
»Nein«, sagt er pikiert. »Es sind alles nützliche Sachen, bei denen auch noch der Preis stimmt.« Er wirft Helen einen Blick zu, doch die lässt sich noch immer nicht in das Gespräch hineinziehen. »Also, Mädels, wenn ihr mal einen Katheter oder einen Kolostomiebeutel benötigt, bin ich euer Mann.«
Auf einer Flirtskala von eins bis zehn belegt er mit diesem Spruch definitiv einen der hinteren Ränge.
»Sind Sie schon länger Single?«, fragt Carol in einem Ton, der impliziert, dass darauf nur eine einzige Antwort denkbar ist – und nicht nur für sie, sondern auch für jeden anderen Gast im Café. Überhaupt für jeden im Umkreis von einem halben Kilometer.
»Doch«, sagt er. »Schon eine Weile.«
Ein unbehagliches Schweigen macht sich breit, und Rickys Miene wird immer düsterer. Helen sitzt derweil seelenruhig dabei und nippt an ihrem milchfreien Chailatte, ohne zu bemerken, dass sich ihr Date unaufhaltsam in Luft auflöst.
Es hilft alles nichts. Für Carol heißt es: Augen zu und durch.
»Wohnen Sie hier in der Gegend?«
»Nein, in Milton Keynes.«
Milton Keynes.
Carol hätte zu gern gewusst, warum jemand für ein abstinentes Beisammensein mit einer Frau wie Helen zwei Stunden Fahrt auf sich nimmt. Hat er denn keine Fotos von ihr gesehen? Doch sie lächelt nur höflich. »Milton Keynes kenne ich nicht besonders gut.«
»Es ist nett da.«
Das ist also die Erklärung. Ein Mann, dem es in Milton Keynes gefällt, muss Helen attraktiv finden. So gern Carol ihre Freundin auch hat, weiß sie doch, dass Helen das romantische Äquivalent einer Schlafstadt ist: nicht ideal, aber hinnehmbar, weil man sich die Immobilienpreise gerade noch leisten kann.
Was natürlich die Frage aufwirft, was für ein Ort Carol selbst wohl ist. Früher hätte sie gesagt, sie sei eine abbruchreife Fabrik. Seit Bob krank ist, fühlt sie sich eher wie ein Einschlagkrater, wie die letzte Ruhestätte eines Meteors, der im Umkreis von tausend Meilen sämtliches Leben ausgelöscht hat.
»Carol?«, sagt Helen. Und noch einmal, lauter: »Carol?«
Helen und Ricky sehen sie mit großen Augen an, als hätte sie einen psychotischen Schub.
»Entschuldigt, ich war mit den Gedanken gerade ganz woanders.«
»Carol ist eine Träumerin.« Helen lächelt nervös.
»Die Welt braucht Träumer«, meint Ricky.
»Danke«, sagt Carol. »Das ist sehr freundlich. Auch wenn ich persönlich ja glaube, dass die Welt auf nicht mehr ganz taufrische Frauen, die an die Wand starren, durchaus verzichten kann.«
Sie lachen.
Carol wirft einen Blick auf Ricky – und wird doch tatsächlich rot.
»Du hast geflirtet.«
»Hab ich nicht.«
»Carol!«
»Ich bin verheiratet.«
»Mit einem Mann, den du verlassen willst.«
»Genau. Da suche ich mir doch nicht gleich den nächsten Loser.«
»Toll. Und was, wenn ich jetzt ganz begeistert von ihm wäre?«
»Nein, warte. Er ist ja nett.«
»Für einen Loser?«
»Er wohnt in Milton Keynes!«
»Er bräuchte also nur nach Wimbledon zu ziehen, und du würdest mit ihm ins Bett steigen?«
»Nein!«
»Ich habe gesehen, wie du rot geworden bist.«
»Das waren die Hormone, das war nicht ich.«
Sie gehen durch den Park, wo die Bäume mit einer letzten selbstzerstörerischen Anstrengung die Blätter von sich werfen.
»Ich weiß auch gar nicht, ob ich ihn überhaupt noch mal wiedersehen will«, sagt Helen. »Es ist ein bisschen wie mit dem Schwimmen. Kaum stehe ich vor dem Becken, habe ich keine Lust mehr dazu. Sobald ich das Wasser nur sehe, ist es vorbei.« Sie seufzt leise, als lasse sie die letzten Hoffnungen fahren. »Vielleicht bin ich einfach schon zu lange allein. Sicher, Ricky war nett, aber dann denke ich mir, wozu der Aufwand?«
»Du hast doch selber die Kontaktanzeige aufgegeben.«
»Stimmt, aber momentan würde ich mich am liebsten mit einem Vibrator begnügen, um bis an mein Lebensende meine Ruhe zu haben.«
»Vielleicht solltest du das deinem Ricky sagen. ›War nett, dich kennenzulernen, aber ich stehe mehr auf das Duracell-Häschen.‹«
»Wäre tatsächlich zu überlegen. Ich sehe nämlich gar nicht ein, warum mein ganzes Dasein um einen Mann kreisen muss.«
»Weil du mal wieder was im Bett haben willst, mit dem man hinterher auch schmusen kann?«
»Aber das muss ja nicht unbedingt ein Mann sein, oder?« Sie senkt den Blick auf die im Wind tanzenden Blätter. »Wir könnten doch auch eine heimliche
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