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Unberuehrbar

Unberuehrbar

Titel: Unberuehrbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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Ruckeln und Rattern unter ihm schon vor einiger Zeit aufgehört. Irgendwann bald würde ihn wohl endlich jemand herauslassen.
    Red öffnete die Augen. Aber die Dunkelheit um ihn war genauso schwarz wie zuvor. Kein Wunder – er reiste in einer Kiste. Wieder einmal. Und ironischerweise war es tatsächlich eine Transportkiste für Blutkonserven, die der, die er für seine Flucht aus der OASIS genutzt hatte, zum Verwechseln ähnlich sah. Nur dass dieses Exemplar einen doppelten Boden hatte, unter dem Red auf Kissen lag, und ein Belüftungssystem. Es wäre also regelrecht komfortabel gewesen – wenn er nicht seit Wochen jede Nacht darin hätte verbringen müssen. Und zwar die ganze Nacht, auf ihrer Reise quer über den halben nordamerikanischen Kontinent, ebenso wie während ihres Aufenthalts in dem billigen Hotel in New York – wo sie fast einen Monat auf ein Schiff nach Europa warteten, dessen Besatzung das Reisegepäck nicht zu genau kontrollieren würde. Auf der stürmischen Überfahrt nach Dover, und auch jetzt, auf derZugfahrt bis in irgendein verlassenes Nest im Süden von Schottland – dem äußersten Rand der europäischen Zivilisation. Red versuchte, diese Nächte zu verschlafen, aber das klappte nicht immer. Anfangs hatte er oft geträumt, er würde ersticken, und er war dann jedes Mal froh darüber – denn es bedeutete, dass die schlimmeren Träume ausblieben. Träume von einer engen Zelle mit Gittern vor dem Fenster, in der er ein Blutermädchen namens Frei zurückgelassen hatte.
    Gemeinsam mit der letzten Hoffnung, Blue jemals wiederzusehen.
    Als sie noch in Imsomniac Mansion gewesen waren und auch zu Beginn der Reise – oder Flucht, wie man es ja nennen musste –, hatte jeder Gedanke an sie geschmerzt wie ein Messer, das in einer verschorften Wunde gedreht wurde. Aber jetzt, nach so vielen Wochen in einer Kiste, war jede Empfindung von einer Schicht aus stickiger Luft bedeckt. Red konnte sich nicht erinnern, sich jemals so schlaff und leblos gefühlt zu haben, und ihm war mittlerweile eigentlich alles egal – abgesehen von der Tatsache, dass er diese Kiste aus tiefstem Herzen verabscheute.
    Ein Stoß erschütterte die Dunkelheit seines Gefängnisses, dass sein Kopf schmerzhaft gegen eine der Seitenwände stieß.
    »Hey«, erklang dumpf eine Stimme von draußen. »Bist du wach?«
    Red verdrehte in der Dunkelheit die Augen. »Jetzt schon, Arschloch«, murmelte er halblaut. Noch ehe er ausgesprochen hatte, ruckelte und krachte es erneut, und die beiden Deckel über ihm wurden beiseitegezerrt. Etliche Blutbeutel sanken mit dumpfem Glucksen zu Boden – dann fiel blassgoldenes Morgenlicht in die Kiste. Red blinzelte.
    »Endstation, Farmer.« Chase’ Stimme klang trocken wie eh und je. Red konnte ihn gegen das Licht nur schemenhaft erkennen.Aber er wusste auch so, dass ein Grinsen auf den hageren Zügen erschien, als er sich aufsetzte – vorsichtig, weil seine Glieder vom Liegen steif waren wie morsche Eichendielen. Und genau so knirschten und krachten sie auch.
    »Die Kopfschmerzen gehen auf deine Karte«, knurrte Red unwirsch und tastete unter den verfilzten Zotteln, zu denen seine Haare in den letzten Wochen herangewachsen waren, nach der Stoßstelle. Kein Blut. Nur eine dicke Beule. Immerhin.
    Chase ließ ein raues Lachen hören und hockte sich auf den Kistenrand. Seine hellen Augen funkelten. »Ab heute kannst du deinen Hintern wieder selbst bewegen. Wird Zeit, dass du in Form kommst, du schmeckst schon ganz abgestanden.«
    Red runzelte die Stirn. »Trink Konserven, wenn’s dir nicht passt.« Unwillkürlich hatte er die Hand an den Hals gelegt – dort, wo Chase ihn für gewöhnlich biss. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, dass Chase kein Mensch mehr war. Und er wusste auch noch nicht, wie es ihm gefiel. Was vielleicht daran lag, dass er seit dem Zwischenfall in der Forschungsstation keine Gelegenheit mehr gehabt hatte, länger als ein paar Minuten ungestört mit ihm zu sprechen. Blinzelnd sah er sich um, während seine Augen sich langsam an das dämmrige Licht gewöhnten. Die Kiste stand auf einem verlassenen Bahnsteig unter einem Dach, das kaum noch mehr als ein Gerippe aus modrigen Balken und wenigen moosbewachsenen Schindeln war. Die Fenster in den verwitterten Wänden des Unterstandes waren zersprungen und blind und ließen die ersten trüben Sonnenstrahlen in unscharfen Flecken auf den Bahnsteig fallen. Unkraut hatte die alten Steine hochgedrückt und zerspringen lassen. Von dem

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