Unberuehrbar
die Sache auch für ihn zu wichtig.
Auf dem breiten Fenstersims reihte Kris drei Petrischalen auf und legte zwei Pipetten und ein Glasstäbchen fein säuberlich auf einem Tuch daneben ab. Dann zog er ein Paar Latexhandschuhe über, ehe er die Probenröhrchen aus seiner Hosentasche holte. Er glaubte zwar nicht, dass dieses merkwürdige Blut ihm allein durch Hautkontakt schaden würde, aber man konnte nie wissen. Vorsichtig öffnete er schließlich die Probe mit dem Menschenblut und ließ mit der Pipette einen großenTropfen in die erste Schale fallen. Dann nahm er mit der zweiten Pipette einen Tropfen seines eigenen Blutes und setzte ihn mit einigen Millimetern Abstand daneben. Erst als beide Probenröhrchen wieder fest verschlossen waren, griff er nach dem Glasstab. Zu gern hätte er seine Materialien vorher sterilisiert. Aber keimfreies Arbeiten war in dieser Umgebung ohnehin unmöglich.
Vorsichtig setzte Kris den Glasstab in den Menschenblutstropfen und zog eine feine Spur hinüber zu dem Tropfen Vampirblut. Nach allem, was er bei Chase gesehen hatte, erwartete er eine schnelle und heftige Reaktion. Und er wurde nicht enttäuscht. Nur Sekunden später begann sich das Vampirblut zu verändern. Der Tropfen geriet in Bewegung, fast als würde er ein Eigenleben entwickeln. Feine Blasen trieben an die Oberfläche. Kris hielt den Atem an. Eine gelblich-weiße Schicht setzte sich auf dem Blut ab.
Eiter.
Eiter!
Abgestorbene weiße Blutkörperchen. Genau wie bei Chase. Und jetzt wusste Kris auch wieder, warum ihm das sofort ins Auge gesprungen war: Es erinnerte ihn an Katherines Tagebuch.
Es befinden sich Viren in unserem Blut. Unter dem Elektronenmikroskop waren sie deutlich zu sehen. Der Kopf. Die spinnenartigen Beine, die sich an meine weißen Blutkörperchen anheften …
So hatte es dort gestanden. Kris hatte es noch genau vor Augen. In seinen letzten Tagen in White Chapel hatten sie schließlich eben diesen Abschnitt zu überprüfen, zu belegen versucht. Und wenn weiße Blutkörperchen tatsächlich die Wirtszellen für diese Viren waren, dann …
Kris ballte die Hände zu Fäusten. Alle Erschöpfung war in diesem Moment vergessen und zittriger Erregung gewichen. Eiter. Auch bei den In-Vitro-Infektionen, die er und Cedric durchgeführt hatten, hatten sie Eiterbildung beobachten können – und zwar einige Minuten bis Stunden, nachdem das Vampirblut mit dem Menschenblut gemischt worden war. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Virus bei Kontakt mit gesunden Zellen seine Wirtszelle dazu anregte, weitere Viren zu bilden, und sie anschließend zur teilweisen Selbstzerstörung zwang. So wurden die neuen Viren freigesetzt und die gesunden Zellen infiziert. Völlig ungewöhnlich war die Reaktion also nicht. Was Kris so sehr aus der Fassung brachte, war vielmehr die Geschwindigkeit und Intensität, mit der sie vonstatten ging. So schnell konnte die Zelle unmöglich die Proteine bilden, die für die Virenkapseln benötigt wurden. Hastig griff Kris noch einmal nach dem Koffer mit den Laborutensilien und zog zwei Streifen Indikatorpapier heraus, mit denen er den Relacingehalt des Blutes würde bestimmen können. Bei einer normalen Infektion erhöhte sich der Relacingehalt deutlich, da die zerstörten Blutkörperchen natürlich möglichst schnell regeneriert werden mussten. Wenn er mit seiner Vermutung recht behielt, dürften die Zellen bei einer derartigen Reaktionsgeschwindigkeit für solche Vorbereitungen allerdings keine Zeit gehabt haben.
Noch einmal setzte er einen Tropfen jeder Blutprobe in eine zweite Petrischale und maß den Relacinwert seines Blutes. Das gelbe Papier färbte sich am Saum des Blutflecks sofort in einem hellen Purpur – ein für Kris’ Verhältnisse erschreckend niedriger Wert. Normalerweise hätte er eine dunkelviolette Färbung erwartet. Andererseits erschien es ihm kaum verwunderlich, dass dies heute nicht der Fall war, nach allem, was er seinem Körper in den letzten vierundzwanzig Stunden zugemutet hatte.
Entschlossen schüttelte er den Gedanken ab. Jetzt über seine Schwäche nachzudenken war mehr als kontraproduktiv. Er konnte es ja ohnehin nicht ändern. Kris wartete, bis sich das Zittern, das seine Hände befallen hatte, wieder legte. Dann vermischte er noch einmal die beiden Blutproben. Die Reaktion fiel ebenso deutlich aus wie beim ersten Versuch: Blasenwurf und rasend schnelle Bildung eines feinen Films aus gelblich grünem Eiter. Doch als Kris schließlich den zweiten
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