Unberuehrbar
Kenntnis zu setzen.
»Zerbrich dir nicht den Kopf darüber«, sagte er tonlos. Dann griff er in den Kragen seines Mantels und zog ihn ein Stück zur Seite, bis sein Hals frei lag. »Trink lieber. Du kannst es brauchen.«
Er konnte Chase’ Blick auf seiner Haut brennen fühlen. Ein Blick voller Verlangen – und Ekel. Kris verstand das gut.
Eindringlich musterte er Chase, der vor ihm stand wie zu Eis erstarrt. »Du hast keine Wahl. Red ist weg. Und wenn du von den anderen Menschen trinkst, stirbst du. Ich kann dich nicht noch einmal retten.«
Er sah, wie Chase’ Kiefer sich verkrampfte, wie er mit sich kämpfte, der Versuchung nicht einfach nachzugeben. Kontrolliert zu bleiben, wie er es immer war. Aber er verlor. Er brauchte das Blut dringender als Kris.
Der Preis für die Unsterblichkeit.
»Und wer rettet dich, Kris?«, murmelte er rau. Dann biss er zu.
Chase bemühte sich sehr, vorsichtig zu sein – Kris konnte es spüren, während die Welt um ihn verschwamm, zu einem trübschwarzen Nichts wurde, in dem er seine Kraft wie einen glühenden Strom davonfließen sah. Unwiederbringlich für immer. Aber er stürzte nicht. Er blieb bei sich, was nicht unbedingt besser war, als das Bewusstsein zu verlieren, weil er so den überwältigenden Ekel mit jeder Faser seines Körpers spüren konnte. Als Chase ihn losließ, fiel Kris vornüber, würgteund hustete. Doch da war nichts, was er hätte erbrechen können. Und noch immer spürte er Chase’ glühenden Blick auf sich, intensiver noch als zuvor.
»Hol ihn zurück«, flüsterte Chase. Seine Stimme war heiser von einer Erregung, die ihm fremd war. Und die er darum fürchtete. »Hol ihn verdammt noch mal zurück! Das ist ja abartig!«
Kris wischte sich fahrig die Haare aus dem Gesicht und schwieg. Abartig, ja. Das war es tatsächlich.
Chase hinter ihm atmete angestrengt ein und wieder aus. »Verdammt noch mal, Mann.« Die Worte klangen noch immer seltsam schneidend. »Du musst doch einen
Plan
haben!«
Langsam hob Kris den Kopf und zwang sich, endlich Chase’ Blick zu erwidern. Es stimmte, dachte er. Selbstverständlich würde er nicht »nichts« tun, und »gar nichts« schon gar nicht. Tatsächlich hatte er immer noch diesen einen letzten Trumpf. Aber nach allem, was bis hierher geschehen war, hatte er das Gefühl, dass es ein noch größerer Verrat an Red gewesen wäre, diese Karte jetzt auszuspielen.
Und doch … wenn er es jetzt nicht tat – wann dann?
In der Hosentasche schloss Kris die Hand um die beiden Glasröhrchen mit den Blutproben. Seine eigene – und die des Menschen. Dann hob er den Kopf, um zum Himmel hinaufzusehen. »Weißt du, mit etwas Glück«, sagte er langsam, »haben wir hier ein wissenschaftliches Kuriosum entdeckt.« Er spürte, wie sich seine Mundwinkel wie von selbst zu einem freudlosen Lächeln verzogen. »Wenn ich genug Hinweise sammeln kann, ist es möglicherweise sogar außergewöhnlich genug, dass Cedric deswegen herkommen würde.«
Chase’ Augen weiteten sich für einen Moment. »Du niederträchtiges Aas!«, sagte er – aber Kris glaubte tatsächlich, Anerkennung in seiner Stimme zu hören. Anerkennung für eine Hinterhältigkeit, für die er sich selbst schämte.
Aber es war nun einmal, wie es war: Er konnte Red nicht gehen lassen. Er konnte es nicht, und er durfte es nicht. Seinetwegen nicht und auch nicht wegen Chase. Er
musste
diesen letzten Trumpf ausspielen. Cedric nach Schottland locken, so bald wie nur möglich.
Denn wenn Cedric kam, würde auch Blue kommen.
In der Kammer am Ende der Treppe war noch alles unverändert. Die leeren Blutbeutel lagen noch an der Wand, und die Flecken von Blut und Eiter auf den alten Matratzen waren noch immer nicht ganz getrocknet. Der säuerliche Gestank hatte sich größtenteils verzogen und hing nur noch flüchtig in der feuchten Luft, als würde der Raum selbst ein fremdartiges Gift ausatmen. Auch der Koffer mit Kris’ provisorischen Laborutensilien lag noch genauso neben dem Bett, wie er ihn zurückgelassen hatte. Langsam ging Kris daneben in die Knie und überprüfte den Inhalt auf Vollständigkeit. Nichts war kaputtgegangen oder ausgelaufen. Kris atmete auf und sah zu Chase, der hinter ihm auf der Türschwelle erschienen war und sich nun schweigend auf dem Bett niederließ. Er hatte Kris’ Plan nicht weiter kommentiert, was vermutlich bedeutete, dass er ihn guthieß – oder zumindest keine bessere Idee hatte. Er würde Kris jedenfalls nicht dazwischenfunken. Dafür war
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