Unberuehrbar
ihr selbst in der Seele weh tat. Dann aber nickte er. »Ich verstehe«, murmelte er, und sein Gesicht verschloss sich.
Im Schankraum war es wieder still geworden. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit räusperte sich Drew. Sein aknenarbiges Gesicht war finster.
»Verstehe ich das richtig«, sagte er langsam, »dass da draußen auf der Insel zwei Vampire sitzen, die dich angegriffen haben – und dass dieser …
Red
… uns zeigen kann, wie man sie tötet?«
Colin nickte. »So ist es.«
»Warum hat er sie dann nicht längst selbst erledigt?« Die Stimme kam aus einer der hinteren Ecken des Raums. FinneganMacNeill, ein sehniger Mann mit schlohweißem Haar, erhob sich dort von seinem Stuhl. Die buschigen Brauen hatte er skeptisch gesenkt.
Colin setzte zu einer Antwort an – doch diesmal war Red schneller als er.
»Man kann Vampire nicht töten«, sagte er. Seine Stimme klang laut und klar in der stickigen Luft des Pubs. »Man kann sie höchstens vorübergehend außer Gefecht setzen.« Er räusperte sich. »Ich nehme doch an, es hat sich auch hier herumgesprochen, dass Vampire unsterblich sind. Außerdem sind sie nicht dumm.« Er ließ seinen Blick durch den Schankraum schweifen. »Hört zu. Colin hat bei seinem Bericht etwas Entscheidendes nicht erwähnt. Und zwar, dass sein Blut für die Vampire nicht genießbar war. Ich habe es gesehen, und Elizabeth auch – der Vampir war geschwächt, nachdem er von Colin getrunken hatte, sehr geschwächt sogar!« Er drehte sich zu Elizabeth um, als wolle er um ihre Zustimmung bitten. Elizabeth brachte es eben so fertig, benommen zu nicken. Sie hatte das Gefühl, dass die Situation ihr über den Kopf wuchs, als sei sie unvermittelt in einem Theaterstück gelandet, um eine Rolle zu spielen, von der sie den Text nicht kannte. Und da war auch das flüchtige Lächeln, das Reds Mundwinkel streifte, nur ein schwacher Trost.
»Ich kann es mir nicht erklären«, fuhr er noch etwas lauter fort, »aber es scheint, dass die Vampire von euch nicht trinken können. Und daher, wenn ihr meinen Rat wollt: Sie jetzt anzugreifen ist das Risiko nicht wert! Sie werden von allein verschwinden.«
Colin fuhr herum. Seine Augen blitzten, und die Wut zeichnete harte Linien in sein Gesicht. »Damit sie der ganzen Welt erzählen können, dass wir hier sind? Hast du etwa Angst? Oder stellst du dich auf ihre Seite?«
Da war ein drohender Unterton in seinen Worten, der Elizabeth einen Schauer über den Rücken jagte. Er war ihr plötzlich so fremd, dachte sie. Dies war nicht der Colin, den sie kannte und liebte. Selbst Morna schien ganz entgegen ihrer Art völlig verunsichert, geradezu verstört.
»Colin hat recht.« Das war wieder Drew. »Willst du uns nun helfen oder die Vampire schützen? Wenn wir dir vertrauen sollen – dann musst du uns schon einen Grund dazu geben!«
Eine ganze Weile sagte Red gar nichts, während sich das zustimmende Murmeln legte, das nach Drews Worten aufgebrandet war, und sich erwartungsvolle Stille über den Raum legte. Elizabeth sah, wie Reds Adamsapfel sich bewegte, als müsse er etwas Zähes hinunterschlucken.
Dann aber hob er den Kopf und sah offen von einem zum anderen.
»Ihr habt recht«, sagte er leise, aber sehr deutlich. »Warum solltet ihr mir vertrauen?« Sein Blick blieb an Elizabeth hängen, und für einen Moment glaubte sie, einen Funken darin zu sehen, der ihr Herz schneller schlagen und ihren Magen sich kribbelnd zusammenziehen ließ. Ein Funke, der sie an das erinnerte, was sie in der Nacht geteilt hatten, und an das kurze, friedliche Glück, das nun schon so unendlich weit entfernt schien. Wie hatte sie nur jemals glauben können, es könnte einfach sein? Aber wie, dachte sie, hätte sie auch ahnen sollen, dass nicht nur sie sich in dieser Nacht verändert hatte – sondern dass auch Colin nicht mehr er selbst war?
Red zog inzwischen mit einer langsamen, fast bedächtigen Bewegung seinen Revolver und hielt ihn in die Höhe. Das graue Licht glänzte matt auf dem Metall des Laufs. Einmal mehr ging ein Raunen durch den Schankraum.
»Ich werde es euch zeigen«, sagte Red. »Jetzt sofort, wenn ihr wollt.«
Kapitel Fünfzehn
Im Untergrund von Kenneth, Missouri
Der Weg von der Brandruine Insomniac Mansions zurück zu Cedrics Wohnung erschien Frei wie ein skurriler Traum. Natürlich konnten sie mit einem Menschen an ihrer Seite nicht einfach mitten durch die Stadt laufen oder ein Taxi nehmen, das war ihr selbst von Anfang an klar gewesen. Aber dass es
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