Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unberuehrbar

Unberuehrbar

Titel: Unberuehrbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
Vom Netzwerk:
einen Tunnel gab, der sie in die stillgelegte Kanalisation von Kenneth brachte, daran hätte sie im Leben nicht gedacht.
    Hannah hatte sie ein Stück den Victoria Hill hinuntergeführt, und von der zerrütteten Straße ab in den Wald hinein. Zwischen zwei ausladenden Roteichen lag, gut verborgen unter Gestrüpp, der Eingang zu einem Schacht, durch den sie steil abwärts in den Tunnel kletterten. Von dort aus liefen sie direkt in die Richtung, in der Frei noch kurz zuvor den dumpfen Nachtglanz der riesigen Stadt gesehen hatte.
    Hannah war den ganzen Weg über grimmig und streitlustig. Frei sprach sie nur an, wenn es unbedingt nötig war. Und auch der Mensch hielt es offenbar für besser, sich ruhig zu verhalten. Frei war dankbar dafür – und auch für den Rucksack mit den Blutkonserven. Kurz bevor sie in den Tunnel hinuntergeklettert waren, hatte sie sich noch einmal zurückgezogen, um zu trinken. Trotzdem machte es sie unangenehm zittrig, ständig diesen verlockenden Geruch in der Nase zu haben. Mehr als einmal musste sie stehenbleiben und tief durchatmen, um Eloy nicht gierig an die Kehle zu springen, obwohl sie eigentlichnicht hungrig war. Und sie fragte sich, ob es Hannah wohl genauso ging. Manchmal, wenn das Vampirmädchen sich umdrehte, um über die Schulter zu schauen, glaubte Frei, einen Hunger in ihren Augen zu sehen, der ihrem eigenen in nichts nachstand. Dabei war Hannah eine Konservative. Der Gedanke verwirrte Frei.
    Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr Sinneseindrücke strömten ihnen entgegen. Frei hörte die Schritte unzähliger Füße. Stimmen, die redeten, lachten, stritten, ohne dass einzelne Worte zu unterscheiden gewesen wären. Motorengeräusche, das Glucksen von Wasser. Es roch nach Blut und so vielen anderen Dingen, die Frei nicht eindeutig benennen konnte. Die Gerüche trieben in zähen Schwaden durch den Gang und vermischten sich mit den Geräuschen und dem düster glühenden Licht, das manchmal durch kleine Abflussgitter in den Tunnel fiel; sie drangen durch jede Pore in Freis Körper, bis ihr schwindelig wurde.
    Ja, das war Kenneth. Die Innenstadt. Kein Zweifel.
    Frei zog den Kragen von Reds Pullover bis über ihre Nase. Jetzt roch sie vor allem die Wolle und das schwindende Aroma des Menschen, der ihn getragen hatte, und ihr Herz und Atem beruhigten sich ein wenig. Trotzdem war sie froh, dass sie Kenneth diesmal mit Hilfe der stillgelegten Kanalisationstunnel durchqueren durfte, statt sich, wie auf ihrem Weg mit Hank, mitten durch diese Masse aus lebendigen Leibern quetschen zu müssen. Allein bei dem Gedanken wurde ihr schlecht.
    Nach einiger Zeit ließ die überwältigende Flut der Sinneseindrücke endlich wieder ein wenig nach, so dass Frei es wagte, den Pullover von der Nase rutschen zu lassen. Und nur wenige hundert Schritte weiter nahm sie – erst flüchtig, dann immer deutlicher – unter den Gerüchen, die zu ihnen herunterdrangen, etwas wahr, das sie kannte: den still vertrauten Duft von Weiden, Gras und Wasser. Von schlafenden Krokussen und Kiefern. Der Asia Park.
    Freis Herz schlug ein wenig schneller. Der Asia Park! Dann war sie jetzt fast zu Hause! Sie straffte die Schultern und richtete sich auf. Nur noch ein paar Meter, dann war sie wieder bei Cedric. Bestimmt wartete er schon auf sie. Sie würde ihm von Kris erzählen, und dem Dorn, den er in ihren Geist getrieben hatte. Von der feinen Schlinge des Versprechens, das Frei ihm gegeben hatte und das ihnen den Weg zu Red weisen konnte. Bei dem Gedanken pochte Freis Herz aufgeregt. Kris hatte es gesagt: Cedric würde wissen, was zu tun war.
    Und dann, so hoffte sie, würde endlich alles gut werden.
     
    Das letzte Stück des Weges war zugleich das gefährlichste.
    Nachdem sie durch einen zwischen Rhododendron verborgenen Kanaldeckel wieder an die Oberfläche gestiegen waren – gar nicht weit von der Bank, auf der Frei und Cedric so oft gesessen hatten –, mussten sie noch gut und gern dreihundert Meter zurücklegen, ohne dass einer der zahlreichen Spaziergänger oder Jogger im Asia Park bemerkte, dass einer von ihnen kein Vampir war. Eloy selbst allerdings schien diese Aufgabe recht gelassen zu nehmen. Überhaupt bewegte er sich mit einer Anmut und Gewandtheit, die nur noch wenig Menschliches an sich hatte und die Frei wirklich hätte vergessen lassen können, dass er ein Sterblicher war – wenn er nur nicht so sehr nach Mensch gerochen hätte.
    Aber alles ging gut. Niemand drehte sich auch nur nach ihnen um. Und

Weitere Kostenlose Bücher