Unberuehrbar
Für mich, verstehst du das nicht?« Die Tränen ließen sich jetzt nicht mehr zurückhalten. Heiß und zornig rannen sie über ihre Wangen. Das Salz brannte auf Elizabeths wunder Haut.
Noch einmal schüttelte Morna den Kopf. Ihre Miene war etwas weicher geworden. »Tut mir leid, Liz. Aber das ist verliebter Unsinn.«
Sie zog die Flasche weg, als Elizabeth erneut danach greifen wollte. »Schluss jetzt. Du hast wirklich genug gehabt.«
»Nein!«
Elizabeth hieb mit der Faust auf den Tisch, und diesmal kippte die Karaffe wirklich. Wasser ergoss sich über den Tisch und auf den Fußboden. Aber Elizabeth kümmerte sich nicht darum. Plötzlich war alles in ihr völlig klar. Selbst der Nebel des Alkohols in ihrem Kopf war wie weggewischt.
»Nein, ich habe nicht genug«, zischte sie wütend. »Ich lasse nicht zu, dass er Red etwas antut. Und den Vampiren auch nicht!«
Mit einem Ruck drehte sie sich um und ging zur Tür.
Hinter ihr polterte ein Stuhl zu Boden, als Morna aufsprang. »Lizzy! Bleib hier!« Mit hastigen Schritten umrundete sie den Tisch und packte Elizabeth am Arm.
Elizabeth fuhr herum. »Lass mich!«
Aber Morna ließ sie nicht. »Niemand wird Red etwas antun!«, sagte sie eindringlich. »Denkst du wirklich, Colin könnte das? Bleib hier, bis er wiederkommt, Lizzy – bitte! Und wenn du’s für mich tust.«
Elizabeth starrte ihre beste Freundin an, ohne sie wirklich zu sehen. Noch nie hatte sie Morna gegenüber so brennende Wut empfunden. »Bist du meine Freundin oder meine Gefängniswärterin?« Sie hörte ihre eigene Stimme gefährlich leise klingen. »Es ist mir egal, was Colin sagt. Er ist nicht mehr der, den ich kannte. Und er kann mir nicht befehlen, hierzubleiben.« Mit einer schroffen Bewegung machte sie sich von Morna los. »Du musst mir nicht helfen. Sag ihm einfach, ich bin weggelaufen. Leb wohl, Morna.«
Und ohne noch eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich um und stürmte mit großen Schritten durch den Flur, durch den Vorgarten und auf die Straße, während sie sich schmerzlich bewusst war, dass nicht nur Morna, sondern auch alle Nachbarn durch die Fenster ihre Flucht verfolgten. Die Flucht von Colins untreuer Freundin, die jetzt auch noch verrückt geworden war.
Doch erst, als sie bereits zwischen den Bäumen am Ende der Straße untergetaucht war; als sie durch das dichte Unterholz rannte, so schnell sie ihre Beine trugen, wurde ihr wirklich klar, was sie gerade eben gesagt hatte.
Leb wohl
.
Ein Abschied, der endgültig klang. Und nach allem, was sie bisher getan hatte und noch tun würde, dachte Elizabeth, war es gut möglich, dass sie nun wirklich niemals mehr in das kleine Haus am Waldrand zurückkehren konnte.
Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie brauchte Hilfe – Hilfe für Red. Und ihr fiel im Augenblick nur ein einziger Ort ein, an dem sie die finden konnte.
Sie musste nach Callahan Castle, in die Burg auf der Insel. Dorthin, wo der Vampir mit den schwarzen Augen wartete.
Kapitel Achtzehn
Callahan Castle, Kinlochliath, Schottland
Kris konnte sich nicht erinnern, wann er zum letzten Mal so unruhig gewesen war. Seit seinem unerwarteten Gespräch mit Blue war er in eine innere Rastlosigkeit verfallen, die ihn wie einen Tiger im Käfig durch die verfallenen Gänge, Säle und Kammern der Burg streifen ließ, ohne dass er hätte sagen können, was er eigentlich suchte. Oder ob er überhaupt etwas suchte. Er wusste nur, dass er es auf diese Weise vermutlich nicht finden würde. Aber das hielt ihn nicht im Geringsten davon ab, seine ziellose Wanderung fortzusetzen. Und dass er nicht wusste, wo Chase sich gerade aufhielt, machte seine Unruhe nur noch schlimmer. Denn Chase war aufgebrochen, um Red zurückzuholen. Ob er ihn allerdings schon gefunden hatte, wusste Kris nicht, und es machte ihn wahnsinnig.
Das Dorf war in Aufruhr. Schon seit Stunden spürte Kris die hektische Betriebsamkeit, die vom anderen Ufer herüberschwappte und die Luft zum Pulsieren brachte – eine Aufregung, die nicht einmal der erstickend dichte Regen lindern konnte, der seit dem Morgen aus dem düstergrauen Himmel fiel.
Es musste mit Red zu tun haben. Kris war sich da absolut sicher. Red hatte das verschlafene Dorf wachgerüttelt, erweckte es zu neuem Leben. Der Gedanke drehte Kris den Magen um. Er war hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Selbstvorwürfen, so stark, dass ihm schwindelig davon wurde. Und dass sein Unwohlsein auch damit zusammenhängen konnte, dasser schon wieder
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