Unberuehrbar
besonders gekümmert hätte, wenn er ihn einfach aufgefordert hätte zu verschwinden. Also nickte er nur und folgte ihm die Böschung zum Fluss hinab, wo sie sich im Schatten der Brücke verbargen, die die beiden Ufer miteinander verband. Vom Regen, der immer noch unbeirrt aus dem Himmel fiel, war hier kaum etwas zu merken. Dafür stank es nach Moder, Schimmel und brackigem Wasser.
Red verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich gegen einen der schmierig feuchten Pfeiler. »Also?«
Chase schwieg noch eine ganze Weile. Seine Miene war grimmig.
»Das Mädchen«, sagte er endlich. »Elizabeth. Ist sie schuld daran, dass du jetzt so bescheuert bist?«
Red atmete tief durch. Er hatte es ja geahnt. »Hör mal, Chase«, sagte er ärgerlich. »Spar dir das. Ich habe mich entschieden. Hau einfach ab und lass mich in Frieden leben, okay?«
Chase stieß ein höhnisches Lachen aus. »In Frieden! Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?« Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Die hassen dich, Mann! Selbst einem Blitzmerker wie dir sollte das nach der Nummer gerade klar sein. Was sollte das überhaupt?« Er schnaufte verächtlich. »Als ob du diesen Weichbirnen irgendwas beibringen könntest. Du gehörst hier nicht her, kapierst du das endlich? Hast du vergessen, dass wir zurück nach Kenneth wollen?«
Red zog die Brauen zusammen. »
Du
willst zurück nach Kenneth, Chase.
Ich
will hierbleiben.«
Chase stieß einen verächtlichen Laut aus. »Ach wirklich. Seit wann das denn?«
»Kannst du mir sagen, was ich in Kenneth soll?« Red sah Chase ärgerlich an. »Du und Kris, ihr beide. Ehrlich, ich wäre sehr dankbar, wenn ihr endlich aufhören würdet, mir ständig zu erzählen, was ich will!«
Chase’ Blick war eiskalt und sehr klar. »So. Verstehe. Und was ist mit Blue?«
Red schloss kurz die Augen und versuchte, das schmerzhafte Ziehen in seiner Brust zu ignorieren. »Blue ist jetzt ein Vampir. Ich nicht. Und wenn du es genau wissen willst, ich habe nicht die Absicht, daran etwas zu ändern. Reicht dir das als Antwort?«
Eine ganze Weile sagte Chase gar nichts. Doch sein Blick ließ Red nicht einen Moment lang los.
»Blue wird herkommen«, sagte er endlich. Seine Stimme klang zu nüchtern für das düstere Glühen, in dem seine Iris leuchtete. »Noch heute Nacht. Sie sucht nach dir.«
Nach allem, was er in den letzten Stunden erlebt und gefühlt hatte, hätte Red erwartet, dass eine Nachricht wie diese ihn mehr aus der Fassung bringen würde. Er hatte mit Freude gerechnet oder vielleicht auch mit Angst, da war er sich nicht sicher. Mit Aufregung in jedem Fall. Aber die Worte hallten nur seltsam dumpf in ihm wider.
Blue würde herkommen. Das änderte alles.
Chase wusste das – genauso wie Kris es wusste. Und darum war dieses bevorstehende Zusammentreffen alles, nur kein Zufall. Die Erkenntnis begann in Reds Inneren zu zittern. Und zum ersten Mal seit langem konnte er Chase’ Blick nicht standhalten. Er wandte sich ab.
»Das löst das Problem nicht«, brachte er endlich hervor und starrte auf den Fluss, mit Augen, die plötzlich unerträglich brannten.
Chase schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Was zum Teufel
ist
das Problem?«
Red ballte die Hände zu Fäusten. »Du weißt genau, was das Problem ist, Chase!«
Eine Weile blieb Chase still. Dann hörte Red, wie er langsam Luft ausstieß. »Ich weiß vor allem«, sagte er leise, »wie es ist, jemanden zu verlieren.«
Red zuckte zusammen. Chase’ Stimme, obwohl fast tonlos, drang wie eine scharfe Nadel in seinen Kopf. Da war keine Wehmut in den Worten, nicht einmal Schmerz. Nur Entschlossenheit.
Red atmete tief durch und zwang sich, Chase wieder anzusehen. »Was willst du damit sagen?«
Etliche Sekunden lang zeigte das Gesicht seines Freundes nicht die kleinste Regung. Er sah Red nur an, mit demselben starren Blick wie zuvor. Dann lachte er. Es klang fassungslos und resigniert zugleich. »Gar nichts. Ich will gar nichts sagen.« Seine Augen funkelten. »Aber eins ist sicher. Ich verliere niemanden mehr. Auch dich nicht.«
Eine Ewigkeit, so schien es, war es still zwischen ihnen. Nur der Regen rauschte unbeirrt.
Und dann zerfetzte ein Geschoss Chase’ Kehle.
Für einen endlosen Moment begriff Red nicht, was geschah. Blut spritzte in sein Gesicht, als weitere Schüsse in Chase’ Körper einschlugen. Immer und immer wieder. Er sah dieselbe entsetzte Verblüffung auf dem Gesicht seines Freundes, ehe er zwei Schritte nach vorn taumelte.
Und
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