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Unberuehrbar

Unberuehrbar

Titel: Unberuehrbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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Umständen. Das hatte er gesagt, und sie glaubte ihm aufs Wort. Je näher sie dem Dorf kamen, desto mehr hatte sie das Gefühl, sich im Zentrum eines Sturms zu befinden, gefangen in einer geisterhaften Stille, während um sie herum Kräfte entfesselt wurden, die alles vernichteten, was sie berührten. Kris’ Gesicht war vollkommen reglos, die Haut seiner Finger glatt und kühl wie Porzellan, das sich nur durch das schnell pochende Blut in Elizabeths Hand leicht erwärmte. Doch in seinen Augen sah Elizabeth ein düsteres Glühen, das sämtliche Härchen an ihrem Körper sich zitternd aufrichten ließ, wann immer sein Blick sie nur streifte.
    Schon von weitem konnte sie das Murmeln unzähliger aufgeregter Stimmen hören, das mal lauter, mal leiser zu ihnen herüberschwappte. Die Bewohner von Kinlochliath waren noch immer – oder schon wieder – auf dem Marktplatz versammelt. Der Rest des Dorfs war verlassen, wie ausgestorben. Nicht einmal die Lampen hinter den fest verschlossenen Vorhängen brannten, obwohl es inzwischen dämmerte und daswenige Licht, das der Regen noch nicht verschluckt hatte, immer weiter schwand. Es war, als hielte das ganze Dorf ängstlich den Atem an, als hätte sich alles Leben ins Herz der Siedlung zurückgezogen, wo es nun aufgeregt vibrierte. Je näher sie kamen, desto deutlicher konnte Elizabeth eine Stimme erkennen, die sich immer wieder über die anderen erhob. Eine Stimme, die sie kannte.
    »Wir lassen uns nicht versklaven!«, rief die Stimme. »Wir geben auch nicht einen von uns auf!«
    Colin.
    Kein Zweifel.
    Und schließlich, als sie um die letzte Ecke bogen, die den Blick auf den Marktplatz versperrte, sah sie ihn auch. Wie erstarrt blieb Elizabeth stehen – im gleichen Augenblick, als auch Kris neben ihr scharf einatmete.
    Der Platz war von Straßenlaternen erhellt, die gelblich trüb durch den Regen blinzelten. Ihr Schein glänzte auf den nassen Gesichtern und Haaren der Menschen, die sich in kleinen Gruppen über das Kopfsteinpflaster verteilt hatten, sich im Dunst ihrer eigenen Körperwärme aneinanderdrängten und die Köpfe zusammensteckten, die Mienen grimmig und verzerrt vor Angst und Wut. Sie alle starrten in die gleiche Richtung – hinüber zur Schmiede, wo Colin, flankiert von Drew und Finnegan, auf eine umgedrehte Regentonne geklettert war. Doch es war nicht er, der Elizabeths Blick in einer Mischung aus Ekel und grausigem Entsetzen anzog.
    Über ihm, an einer Seilwinde, mit der für gewöhnlich schwere Lasten auf die Höhe des oberen Stockwerks gezogen werden konnten, hing ein schlaffer, regloser Körper. Er war nackt, die bleiche Haut schimmerte im letzten Rest des schwindenden Tageslichts, nur durchbrochen von den schwarzen Flecken der zahllosen Wunden, die ihn entstellten. Ein abgebrochenerZaunpfahl war durch seinen Bauch getrieben worden und ragte auf der anderen Seite wieder heraus. Im leichten Wind schwankte er hin und her, aber davon abgesehen rührte er sich nicht. Nur seine Augen leuchteten noch immer. Eisblau und stechend klar selbst in den Schatten, die ihn langsam verschluckten. Lebendig, obwohl das Leben aus ihnen gewichen war.
    »Wir haben einen von ihnen erledigt!«, rief Colin und stieß die geballte Faust in die Luft. »Dies ist der Beweis! Vampire
können
getötet werden! Und den anderen kriegen wir auch noch! Wir holen uns Elizabeth zurück!«
    Ein Würgen stieg Elizabeths Kehle hinauf, und sie schmeckte bittere Galle. In ihren Ohren rauschte es, und fast hätte sie sich die Hand vor den Mund geschlagen – wenn nicht in diesem Augenblick der Griff der Porzellanfinger um ihre zu einer Schraubzwinge geworden wäre. Kris’ Schmerz durchfuhr Elizabeth wie ein elektrischer Schlag – so reiner, klarer Zorn, dass sie das Gefühl hatte, in Stücke gerissen zu werden.
    Und im nächsten Augenblick brach ein Meer der Finsternis über den Platz. Von einer Sekunde zur anderen erstarb der aufbrandende Jubel der Menschen, die Colin in den Kampf hatten folgen wollen. Wie ein Mann drehten sich alle um – gerade noch rechtzeitig, um den Tod zu sehen, den sie heraufbeschworen hatten, ehe die Dunkelheit sie verschlang. Eine Woge des Entsetzens brandete Elizabeth entgegen und riss sie mit sich, ertränkte sie in Angst und Schwärze. Sie konnte nichts sehen, nichts hören außer den Schreien, jeder einzelne eine hauchfeine Klinge, die sich tief in ihre Lungen bohrte, bis sie glaubte, zu ersticken. Sie riss den Mund auf, rang keuchend nach Atem und konnte doch nichts

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