Unberuehrbar
Wasser aus winzigen Eimern gegen ein Feuer ausrichten, das nicht einmal der strömende Regen löschen konnte? Zugleich gingen nun auch andere Gebäude am Rand des Platzes in Flammen auf, und in der Ferne wuchsen ebenfalls dampfende Rauchsäulen in einen Himmel, dessen inzwischen nachtschwarze Wolken den Widerschein des Feuers in düsterem Orange reflektierten.
Tränen stiegen Elizabeth in die Augen. »Hör auf!«, flehte sie. »Bitte, bitte, hör auf! Das habe ich nicht gewollt!«
Sanfte Finger strichen über ihre Wange. Viel zu kühl für die Hitze, die ihnen von den brennenden Gebäuden entgegenschlug. »Sieh genauer hin!«, flüsterte Kris dicht an ihrem Ohr.
Elizabeth riss die Augen auf. Und den Bruchteil einer Sekunde sah sie, was kein anderer Mensch sehen konnte. Sie sah die Häuser von Kinlochliath, düster, nass und unversehrt, hinter dem Bild der einstürzenden Mauern, die im flammenden Inferno vergingen. Keuchend rang sie nach Atem. Eine Illusion?
Kris hatte sich inzwischen wieder zu Colin umgewandt, der sich noch immer nicht aus seiner Lähmung hatte befreien können.
»Der Revolver«, sagte Kris und streckte die Hand aus, während er mit dem zweiten Arm weiter Elizabeth festhielt, als wöge sie nichts. »Gib ihn mir.«
Colin leistete keinen Widerstand mehr. Folgsam legte er Reds Revolver in Kris’ Finger. Kris lächelte freudlos. »Ich danke dir. Und jetzt gib mir meinen Menschen zurück.«
Kapitel Zwanzig
Im Schmiedekeller, Kinlochliath, Schottland
Der Schmiedekeller war ein düsterer, enger Schacht hinter einer feuerfesten Stahltür, die mit einem schweren Riegel gesichert war. Kris hatte Elizabeth abgesetzt und zog sie nun an der Hand hinter sich her die ausgetretenen Stufen hinunter. Es gab kaum Licht hier unten, abgesehen vom weißlichen Strahl einer Taschenlampe, die er von einem Haken neben der Tür mitgenommen hatte. Ihr Schein glänzte dumpf auf den feuchten Steinen.
Kris musste sich sehr beherrschen, um sein Schritttempo an das von Elizabeth anzupassen und nicht wie von Furien gehetzt voranzustürmen. Die Dunkelheit brodelte und wütete noch immer in seinem Inneren, aber gemessen daran war sein Kopf erstaunlich klar. Kris wollte lieber nicht darüber nachdenken, was geschehen konnte, wenn der Zorn, der seine Gedanken wachhielt und auf sein Ziel fokussierte, abflaute und der Adrenalinspiegel, der sein Blut zum Kochen brachte, sank. Aber für den Moment war das nicht wichtig. Jetzt musste er Red finden. Nur das allein zählte. Und er war nicht mehr weit davon entfernt. Sobald sie die Stahltür passiert hatten, spürte Kris Reds Gegenwart mit einer Intensität, die ihn beinahe überwältigte. Er spürte Schmerzen, Hilflosigkeit und dumpfe Verzweiflung.
Die Treppe mündete in einen engen Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Aber Kris brauchte nicht eine Sekunde, um zu wissen, welche von ihnen die richtige war. Mit einem Krachensplitterte das morsche Holz, als Kris mit voller Kraft dagegen trat. Die Reste der Tür donnerten gegen die Wand.
Und dort, zwischen Metallplatten und wuchtigen Eisenstangen, saß Red.
Er hatte sich erschöpft gegen die Wand gelehnt, die Knie an die Brust gezogen, wie um sich gegen die Kälte zu schützen, die aus den Wänden drang. Sein Gesicht war dunkel vor Schmutz und verschmiertem, getrocknetem Blut. Sein rechtes Auge war zugeschwollen, die Unterlippe aufgeplatzt. Als Kris und Elizabeth in den Raum stürmten, sprang er auf die Füße – nur um sich kurz darauf mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Wand abzustützen.
Kris blieb stehen, einen Schritt hinter der Schwelle. Er wusste nicht, was ihn so plötzlich zögern ließ. Doch erst, als Red sich langsam wieder aufrichtete und ihn ansah, als Kris die Erleichterung erkannte, die auf seinen Zügen aufleuchtete, wagte er endlich, die letzten Schritte nach vorn zu tun. Hinter sich spürte er, wie Elizabeth zurückblieb, spürte ihr Zögern, während sie im leeren Türrahmen verharrte und ihre Hand umklammerte, die Kris nun zum ersten Mal, seit sie ihn auf der Insel um Hilfe bat, losgelassen hatte. Aber er konnte in diesem Augenblick nicht auf sie achten. Sie musste jetzt allein stehen.
»Kris«, flüsterte Red. Die Worte kamen nur mühsam über seine geschwollenen Lippen.
Ein schmerzliches Lächeln streifte Kris’ Mundwinkel. Es war erst Stunden her, seit sie sich am Strand getrennt hatten. Ihm aber schien es, als wären seitdem Jahre vergangen.
»Es tut mir leid«, sagte er leise und streckte behutsam
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