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Unberuehrbar

Unberuehrbar

Titel: Unberuehrbar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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lauter und lauschte auf den Nachhall ihrer Stimme.
    Schweigen antwortete ihr – ein Schweigen, das sich trostlos auf ihrer Haut anfühlte. Es war eigenartig. Dabei hätte sie nicht einmal selbst sagen können, warum sie so fest damit gerechnet hatte, dass sie Sid hier finden würden. Vielleicht, weil dies der Ort war, wo sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte? Eine Gänsehaut kroch über Freis Nacken, als sie daran zurückdachte. Die Erinnerung war seltsam verzerrt und leicht verschwommen – und doch eine der allerersten und eindrücklichsten, die sie besaß. Wie sie aus der Dunkelheit gestürzt war, hinein ins grelle Weiß, und blind vorangehastet, immer dem schwachen, aber so süßen Duft frischer Luft nach – bis vor ihr eine dürre Gestalt direkt aus der Decke gefallen war. Frei erinnerte sich an düster glühende Augen, wie blauschwarzglimmende Kohlen und ein wildes Grinsen. Ein Kichern, das in den Wänden vibrierte und den Boden erzittern ließ …
    »Blue?«
    Beim Klang von Reds Stimme fuhr sie heftig zusammen.
    »Alles in Ordnung?« Red musterte sie besorgt. »Du bist ganz bleich.«
    Frei starrte ihn an, noch ganz gefangen von dem, was gerade so flüchtig an ihr vorbeigestrichen war. »Hast du das gehört?«
    Red runzelte verwirrt die Stirn. »Was gehört?«
    Frei schloss die Augen. »Das Lachen«, flüsterte sie, ging in die Hocke und legte eine Hand leicht auf den Boden. Nichts war zu spüren. Aber sie hatte es doch gehört? So intensiv konnte doch keine Erinnerung sein?
    Red gab keine Antwort und rührte sich auch nicht, lauschte vielleicht ebenso wie sie.
    Noch einmal beschwor Frei vor ihrem inneren Auge das Bild herauf, spürte, wie die Angst tief in ihr etwas zum Zittern brachte, als sie in den Wänden jemanden …
    … Atmen hörte …
    Ein Arm brach aus dem Boden und packte Frei an der Kehle, so fest, dass ihr erschreckter Schrei in einem Röcheln erstickte. Sehnige Finger schlossen sich eisern um ihren Hals und drückten zu – doch noch bevor sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, zerfiel der Arm bereits wieder in eine glibbrige Masse undefinierbarer Substanz, die rasch im Boden versickerte und sich auflöste, als wäre sie nie da gewesen.
    Japsend rang Frei nach Atem. Die Haut an ihrer Kehle, dort, wo die Finger sie berührt hatten, kribbelte und brannte, als wäre gerade eine Welle Starkstrom hindurchgeleitet worden. Ihr Schädel summte unter den Nachwirkungen der Berührung, und sie konnte Red kaum sehen, der den Revolver gezogenhatte und auf die Stelle gerichtet hielt, wo gerade noch der Arm gewesen war.
    Sids Arm.
    Frei sprang auf, obwohl ihre Beine sich weich anfühlten und wackelig, als hätte jemand ihre Knie gegen nasse Schwämme ausgetauscht. »Wir müssen aufs Dach!«
    Sie wusste nicht, woher sie diese Sicherheit nahm. Oder den Mut, dieser Eingebung zu folgen. Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie Sid dort finden würden – an diesem Ort, wo sie sich noch so viel besser an ihn erinnerte als hier. Erinnerungen, begriff Frei, während sie bereits vorwärtsstürmte. Sie mussten der Schlüssel sein. Erinnerungen, die sie in das lebende Wesen fließen ließ, das die Forschungsstation war, auf umgekehrte Weise, wie sie die geraubten Erinnerungen an Red aus Cedrics Geist gezogen hatte.
    Und Berührung – Berührung half.
    Sie sah sich nicht um, ob Red ihr folgte. Sie rannte einfach. Sie durfte diese Spur nicht verlieren!
    »CEDRIC!«, brüllte sie, als sie das Treppenhaus erreichte, und hoffte, dass er sie hören konnte. »AUFS DACH!«
    Sie nahm die Absätze jeweils mit einem Sprung, jagte der Fährte aus frischer Luft nach, die sie schon damals geleitet hatte, hinaus aus der Station, den kahlen Gängen, dem bleichen Licht …
    Der Wind riss an der Tür, als Frei sie aufstieß und auf das Dach hinausstürzte. Der Geruch der Freiheit, so unfassbar nah, umwehte sie, zerrte an ihren Haaren und trieb sie vorwärts, obwohl ihre Beine schmerzten, zitterten wie Espenlaub und sie kaum tragen wollten. Das mondbeschienene Dach vermischte sich mit dem Anblick eines anderen Szenarios im glutroten Dämmerlicht – der gleiche Ort und doch unendlich weit entfernt, an jenem Abend, als ihre erste Flucht so schrecklichgeendet hatte. Frei stolperte vorwärts, zwischen zersprungenen Bodenplatten hindurch auf den großen Funkmast in der Mitte des Daches zu. Dort oben hatte er gesessen, wie eine Spinne in ihrem Netz, die auf ihre Beute wartet. Von dort oben hatte er über sie gelacht und mit

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