Unberuehrbar
mehr von der kalt aufflackernden Wut, die sie eben so unerwartet in ihm heraufbeschworen hatte. Allein bei dem Gedanken daran beschleunigte sich ihr Herzschlag.
»Setz dich ruhig.« Kris deutete auf einen Stuhl neben der Arbeitsplatte. »Es dauert noch einen Moment.«
Elizabeth atmete tief durch. Vermutlich war es besser, wenn sie nicht zu viel darüber nachdachte, was eben vor den Türen des Labors geschehen war. Wenn sie sich nicht fragte, was sie geritten hatte, sich vor Kris’ Augen einfach auszuziehen undihm all ihre bitteren, verzweifelten Gedanken vor die Füße zu werfen. Was um alles in der Welt hatte sie sich denn bloß davon erhofft?
Während sie sich zögernd auf der Stuhlkante niederließ, hoffte sie inständig, dass es wenigstens nicht mehr allzu lange dauern würde. Unter der Atemschutzmaske hatte sie allmählich das Gefühl, nur unzureichend Luft zu bekommen, und obwohl die Schutzbekleidung weit geschnitten war, war sie doch viel zu warm für die Temperaturen im Labor. Vor allem da Elizabeth auch vor Nervosität schon schwitzte und ihr der glatte Stoff unangenehm an der Haut klebte.
Sie räusperte sich unbehaglich. Sie sollte sich auf das konzentrieren, was vor ihr lag, dachte sie. Das war immerhin unheimlich genug.
»Wonach suchen wir eigentlich?«, fragte sie leise. »Ich meine, dieses Gift in meinem Blut – was für eine Art Stoff könnte das sein? Weißt du das schon?«
Kris sah auf, offenbar überrascht, dass sie tatsächlich eine Frage stellte, die mit den anstehenden Versuchen zusammenhing. Vermutlich hatte er geglaubt, dass sie das im Grunde gar nicht interessierte. Aber da täuschte er sich. Es interessierte sie sogar sehr, auch wenn sie selbst nicht hätte sagen können, warum eigentlich. Aber sie wollte verstehen, was sie tat. Wenn das hier schon ihr neues Leben sein musste. Als er das begriff, vertiefte sich der erstaunte Ausdruck auf Kris’ Gesicht. Dann aber glätteten sich seine Züge, und er lächelte flüchtig.
»Wir gehen davon aus, dass es etwas ist, das sich über die Nahrungsaufnahme in deinem Blut angereichert hat«, erklärte er. »Ein Spurenelement vielleicht, ein Salz oder ein Protein, das sich nur in deiner Heimatregion findet.« Er hob eine Schulter und seufzte verhalten. »Bisher kann ich natürlich nur sehr vage Vermutungen anstellen. Es könnte im Prinzip alles sein. Grobgesagt, werden wir versuchen, alle entsprechend in Frage kommenden Komponenten aufzuschlüsseln, die in deinem Blut vorhanden sind. Und eigentlich brauchten wir Cedric dazu. Er könnte das sehr viel schneller und besser sehen.« Kris schüttelte leicht den Kopf und griff nach einem Kasten mit Spritzen und leeren Blutröhrchen, ehe er sich einen zweiten Stuhl heranzog und sich Elizabeth gegenübersetzte. »Nun ja. Aber ich denke, wir können immerhin schon etwas an Vorarbeit leisten, damit wir nachher zügig vorankommen.« Er streckte eine Hand nach ihrem Arm aus, verharrte aber im letzten Moment, ehe er sie berührte, und sah ihr aufmerksam ins Gesicht. »Darf ich? Es geht ganz schnell.«
Elizabeth nickte. Ihr Mund war plötzlich trocken.
»Bitte.« Ihre Stimme klang unangenehm belegt in ihren eigenen Ohren. »Dafür bin ich ja hier.«
Mit klopfendem Herzen sah sie zu, wie ein weiteres Lächeln auf Kris’ Gesicht erschien, ehe er den Ärmel ihres Schutzanzugs hochschob und die Nadel der Spritze vorsichtig unter ihre Haut stach. Es übte eine seltsame Faszination auf sie aus, zu beobachten, wie ihr Blut in Sekundenschnelle zischend in das schmale Glasröhrchen gesaugt wurde. Kris wechselte das Röhrchen zweimal, ohne die Nadel aus der Vene zu ziehen. Er ging dabei sehr behutsam vor, und bis auf den winzigen Stich zu Beginn spürte Elizabeth gar nichts – als sei es überhaupt nicht ihr Arm, der da auf Kris’ Oberschenkel auflag. Nicht ihre weiße, sommersprossengesprenkelte Haut, nicht ihre Adern, die bläulich darunter schimmerten, und auch nicht ihr Blut, so dunkelrot, dass es beinahe violett schien.
Schließlich legte Kris die Spritze zur Seite und stand wieder auf, um ein Notizbuch aus einer Innentasche seines Schutzanzugs zu ziehen. Elizabeth hatte ihn darin in den letzten Tagen öfter etwas notieren sehen – meistens, wenn er im Gesprächmit Cedric war. »Also dann«, sagte er. »Ich denke, es kann losgehen.«
Elizabeth runzelte die Stirn. Seine Worte von vorhin hatten etwas in ihrem Kopf zum Schwingen gebracht, das vom Anblick des Blutes in der Spritze noch verstärkt wurde.
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