Unberuehrbar
Nachdenklich rieb sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Der Schweiß begann allmählich auf ihrer Kopfhaut zu jucken. Der Kontakt mit den Gummihandschuhen, stellte sie fest, machte das allerdings nicht unbedingt besser. »Also, wir suchen etwas, das für meine Heimatregion einzigartig ist?«, sagte sie langsam. »Dann würde ich zuerst auf Mineralien testen, glaube ich.«
Kris, der gerade nach der nächsten freien Seite in seinem Buch blätterte, hielt mitten in der Bewegung inne und hob überrascht die Brauen. »Ach so?« Er musterte sie interessiert. »Wieso meinst du?«
Elizabeth räusperte sich ein wenig nervös. Hoffentlich sagte sie jetzt nichts völlig Absurdes. »Na ja, also … die Gesteinsschichten in den Highlands sind je nach Region sehr individuell mit Mineralien angereichert. Deswegen ist auch das Wasser jeden Sees anders und hat seinen ganz eigenen Geschmack. Man sollte auch keinen guten Whisky jemals mit Wasser verdünnen, das nicht aus dem gleichen See stammt, weißt du.«
Ein feines Lächeln verengte Kris’ Augen um eine Winzigkeit. »Ah, verstehe. Schottisches Fachwissen. Sehr hilfreich, ich muss schon sagen. Danke.«
Elizabeth konnte nicht anders. Sie musste das Lächeln erwidern. »Meine beste Freundin arbeitet in einer Brennerei. Ich habe mir diesen Vortrag schon sehr oft anhören müssen.«
Ein unerwartet stechender Schmerz zog durch ihre Brust, als ihr bei dem Gedanken an Morna plötzlich das Gesicht der Freundin wieder vor Augen stand. Elizabeth hatte sie nicht mehr gesehen, nachdem sie aus dem Haus am Waldrand geflohenwar. Auf dem Marktplatz war sie immerhin nicht gewesen, soweit sie das beurteilen konnte. Aber hatte Morna das vor Kris’ Zorn gerettet? Wie mochte es ihr gehen?
Und Colin?
Elizabeth biss sich auf die Unterlippe und war froh, dass Kris das unter dem Mundschutz nicht sehen konnte – und dass er sich gerade über sein Notizbuch beugte, um es aufzuschlagen. Mit einer fast andächtigen Bewegung schrieb er das aktuelle Datum auf die nächste freie Seite.
»Mineralien also«, murmelte er, während er notierte, was Elizabeth eben gesagt hatte. »Wenn es, wie vermutet, die Leukozyten an den Rezeptorproteinen angreift und so eine Lyse der Zellen veranlasst, vielleicht ein Mineralsalz, das bei ausreichender Sättigung des Blutes eine entsprechende kristalline Struktur aufweist …«
Langsam legte er den Stift ab und richtete sich auf, um Elizabeth anzusehen. Seine Augen funkelten. »Elizabeth, ich denke, das war ein geradezu genialer Hinweis.«
Elizabeth lächelte. Ein wenig überraschte es sie selbst, wie sehr sie sich über das Lob freute. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern – als neben ihnen, so dicht, dass sie beide zusammenfuhren, Händeklatschen erklang.
Kris’ Gesichtszüge gefroren. Sehr langsam drehte er sich um, und auch Elizabeth folgte seinem Blick.
An der Tür, eine Schulter lässig gegen die Wand gelehnt, stand der schönste Mann, den sie je gesehen hatte, und applaudierte ihnen. Ein träger, wohlwollender Applaus, begleitet von einem Lächeln, das den ganzen Raum in warmgoldenes Licht tauchte.
Elizabeth starrte ihn ungläubig an. Wo kam er so plötzlich her? War er etwa die ganze Zeit hier drin bei ihnen gewesen? Wie konnte es sein, dass sie ihn nicht bemerkt hatten?
Bernsteinfarbene Augen musterten sie mit einer Belustigung, die so liebevoll war, dass Elizabeth das Gefühl bekam, dass es auch in ihrem Inneren augenblicklich heller und wärmer wurde. Der Mann wirkte sehr jung und auf den ersten Blick ein wenig zerbrechlich. Seinem Lächeln aber wohnte eine Kraft inne, die Elizabeth augenblicklich gefangen nahm. Es durchdrang ihre Seele bis in ihren tiefsten Kern und beleuchtete sanft jeden noch so engen, dunklen Winkel, ohne sie bloßzustellen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solchen Frieden gespürt, und wie von selbst stand sie auf, um diesem Lächeln, diesem Licht ein wenig näher zu sein – als eine Hand sie grob an der Schulter packte und zurück auf den Stuhl stieß. Und in die Dunkelheit.
Elizabeth rang überrascht nach Atem. Ein Schatten war auf sie gefallen, der nichts mit dem bleichen Licht der Neonröhren zu tun hatte.
Kris.
Er stand neben ihr, die Finger noch immer unerbittlich um ihre Schulter geschlossen. »Elizabeth«, sagte er, und seine Stimme war plötzlich wieder voll mit dieser Finsternis, die sie frösteln ließ – und die doch zugleich auch wie eine weiche Decke über sie fiel und sie schützte vor dem Licht,
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