Unberuehrbar
das plötzlich viel zu intensiv auf ihrer Haut zu brennen schien. Sanft, fast zärtlich streiften Kris’ Fingerspitzen die Haut an ihrem Hals. »Sieh ihn nicht an. Bleib dicht bei mir, verstehst du mich?«
Ein leises Lachen erklang von der Tür her. Der Fremde richtete sich mit geschmeidiger Gelassenheit auf und schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. Er trug gar keine Schutzkleidung, bemerkte Elizabeth verwirrt. Als sei er sich absolut sicher, dass nichts auf dieser Welt ihm etwas anhaben konnte.
»Sieh an, sieh an«, sagte er freundlich. Seine Stimme war weich und fast eine Spur zu tief für seine schmale Erscheinung– so volltönend wie der Gesang eines Cellos. Elizabeth wollte in dem Klang ertrinken. »Wenn das nicht Gregors kleiner Sohn ist. Genial wie eh und je. Und dabei so störrisch wie ein junger Hund.«
Undeutlich spürte Elizabeth, wie Kris’ Hand an ihrer Schulter sich verkrampfte, aber sie vermochte die Reaktion nicht klar zu bewerten. Zu gefangen waren ihre Sinne trotz Kris’ Warnung von dem, was sie sah und hörte. Von der Verheißung in jedem melodiösen Atemzug, jeder noch so winzigen Bewegung. Alles an diesem Mann lockte sie, näher zu kommen, ihm alles zu geben, was sie hatte, und noch mehr, sich zu verlieren in diesem Licht und seiner Wärme. Dort musste sie nichts sein. Nichts und niemand. Sie konnte sich in ihm aufgeben. Wenn er sie nur ließe …
»So eine Überraschung, dich hier zu sehen«, fuhr der Vampir leichthin fort. »Du und Cedric also, na so etwas. Ob Gregor damit wohl einverstanden gewesen wäre, mein Lieber?«
Wovor hatte Kris sie warnen wollen?, dachte Elizabeth verwirrt. Es gab hier keine Gefahr. Nur ein Versprechen unendlichen Glücks in den bernsteinfarbenen Augen. Und wer brauchte denn eine warme Decke, wenn er in der Sonne liegen konnte …?
Kris’ Worte, obwohl so dicht neben ihr, flossen an ihr vorbei, ohne sie zu berühren. »Du kanntest meinen Vater?«
Ein Schatten der Enttäuschung fiel über das Gesicht des fremden Vampirs. »Willst du damit sagen, du erinnerst dich nicht an mich?« Langsam trat er auf Kris zu, und Elizabeth spürte, wie ihre Seele sich öffnete, um mehr von seiner Nähe aufzunehmen. Der Vampir aber blieb vor ihnen stehen, so nah, dass er Kris um ein Haar berührte – von Elizabeth jedoch schmerzlich weit entfernt. Er beachtete sie gar nicht. Er hatte nur Augen für Kris. Und Kris hielt sie unerbittlich fest undließ sie nicht aufstehen. Elizabeth wollte schreien vor Frust und Verzweiflung, aber sie brachte keinen einzigen Laut über die Lippen. Wie erstarrt sah sie zu, wie der fremde Vampir sich noch ein winziges Stück vorbeugte, bis seine Lippen dicht an Kris’ Ohr waren.
»Dabei sind wir doch eins«, flüsterte er, und trotz des sanften Tonfalls lief Elizabeth plötzlich ein Schauer über den Rücken. »Dein Blut ist in mir.«
Kris’ Augen weiteten sich entsetzt. »Nein!«, stieß er hervor. »Das ist nicht wahr! Du lügst!«
Der Fremde lächelte. Liebevoll. Und siegessicher. »Gregor war so stolz auf dich. Er liebte es, dich zu teilen. Und du hast es genossen. Du warst geradezu süchtig danach. Weißt du das denn nicht mehr?«
Alles Blut war aus Kris’ Gesicht gewichen. Er sah aus, als müsse er sich im nächsten Augenblick übergeben. Seine Finger lösten sich von Elizabeths Schulter, und er versuchte, zurückzuweichen, aber die Arbeitsplatte war ihm im Weg.
Der Fremde hob die Hand und strich ihm zärtlich durch das zerzauste Haar. »Oh, ich verstehe. Mein armer Junge. Du tust es also immer noch. Natürlich, wie solltest du auch nicht? Du bist gezeichnet. Einmal eine Hure – immer eine Hure. Und das mit diesem Engelsgesicht. Aber du solltest damit aufhören, wirklich.«
Kris schüttelte den Kopf – ein schwacher Protest gegen die liebkosende Hand, die ihn nicht freigab. Der Anblick brannte lichterloh in Elizabeths Brust.
»Warum?«, brachte Kris endlich atemlos hervor. »Warum habt ihr das getan?«
Das Lächeln des Fremden war unverändert sanft. »Warum, fragst du? Ganz einfach: Dein Blut war viel zu stark, um an einen Vampir allein verschwendet zu werden. Es war in niemandesInteresse, dass du eines Tages alle überflügelst. Da lag es doch sehr viel näher, diese immense Kraft unter einigen Auserwählten gerecht aufzuteilen.« Er richtete sich auf und trat einen winzigen Schritt zurück. »Und sieh mich an, wie ich durch das letzte Jahrhundert gegangen bin. Als wäre ich nicht einen Tag gealtert, nicht wahr? Eher
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